Am 11. Juli fand wieder einmal der jährliche “Al-Quds-Tag” statt. Dieser von den iranischen Machthabern 1979 ausgerufene Feiertag ist der “Befreiung Jerusalems von den zionistischen Besatzern” gewidmet. Selbstverständlich wird dabei das Existenzrecht Israels aberkannt; antisemitische Stimmungsmache steht auf der Tagesordnung. Auch in Berlin versammelten sich Antisemiten und Israelhasser zu einer Großdemonstration. Islamisten, Neonazis und linke Antiimperialisten nutzten den Tag, um ihren Hass auf den jüdischen Staat kundzutun und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit zum Ausleben ihrer antisemitischer Gewaltphantasien zu missbrauchen.
Wie schon in den vergangenen Jahren formierte sich Widerstand gegen diese Hetzveranstaltung. Ein linkes Bündnis vereinte unter anderem die Grüne Jugend, die JuSos, den israelsolidarischen Arbeitskreis Shalom der Linkspartei und diverse antifaschistische Gruppierungen. Zu den Unterstützern des Bündnisses zählte auch die Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Der Demonstrationszug startete mehrere Stunden vor dem Quds-Aufmarsch und zog durch die Straßen mit den Parolen „Free Gaza from Hamas“ und „Kein Gott, kein Staat, kein Kalifat“. Die politische Ausrichtung wurde in regelmäßig zu hörenden „Nie wieder Deutschland“-Rufen deutlich – das dürfte auch ein Grund sein, dass es ein davon unabhängiges bürgerliches Bündnis unter Teilnahme der Jungen Union, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und anderer jüdischer Organisationen gab. Auch dieses Bündnis führte eine Auftaktkundgebung und einen Umzug durch. Danach begleiteten Demonstranten aus beiden Gegenbündnissen protestierend den Al Quds-Marsch und zeigten so Flagge gegen Hass und Antisemitismus.
Dieses Jahr hat einen Umbruch in dem Kraftverhältnis zwischen Pro- und Gegendemonstranten gesehen. Waren es 2014, während des letzten Gaza-Krieges, noch etwa 2500 antizionistische Demonstranten, die 600 Gegendemonstranten gegenübergestanden, fanden sich 2015 nur knapp 650 Teilnehmer auf dem Al-Quds-Marsch ein. Die beiden Protestveranstaltungen konnten etwa 500 und 200 Teilnehmer verbuchen, womit erstmals die Gegner in Berlin die zahlenmäßige Überlegenheit hatten. Den Organisatoren und Mitläufern war eine zunehmende Verzweiflung anzusehen, als sie feststellten, dass an fast jeder Straßenkreuzung israelische Flaggen geschwenkt wurden und „Free Gaza from Hamas“-Rufe die Parolen der Demonstranten übertönten. Einmal musste der Demonstrationszug sogar anhalten und eine improvisierte Zwischenkundgebung durchführen, als angesichts der lautstarken Proteste die Situation vollends zu entgleiten drohte.
Wessen Geistes Brüder die Al-Quds-Demonstranten sind, ließ sich an ihren Sprechchören unschwer erkennen. Das altbekannte antisemitische Klischee der jüdischen Kindermörder wurde in leicht abgewandelter Form als „Zionisten sind Faschisten, töten Kinder und Zivilisten“ und „Seid ihr alle taub und stumm, Israel bringt Kinder um“ aufgetischt. Auch der Slogan „Gegen Mord, gegen Krieg, Palästina bis zum Sieg“ war entlarvend, offenbarte er doch, wie sich ein Ende des Nahostkonflikts aus Sicht der Demonstranten darstellt: mit einem Sieg der Palästinenser und der damit einhergehenden Vernichtung Israels. Plakate mit dem Schriftzug „Palestinian Sovereignity for Palestine“ über einer in die palästinensische Fahne eingefärbte Karte Israels sowie das Transparant „Zionisten vernichten!“ unterstrichen diese Mitteilung ebenfalls. Immer wieder wurde von den Rednern mit Verweis auf die Auflagen für die Genehmigung der Demonstration betont, dass sie in ihrer Meinungsfreiheit eingeschränkt würden – womit sie unverblümt zugaben, noch viel herbere antisemitische Parolen auf Lager zu haben, die lediglich aus Angst vor juristischen Konsequenzen zurückgehalten wurden. Die üblichen Verschwörungstheorien und Feindbilder durften natürlich ebenfalls nicht fehlen: so sprach ein Redner davon, der IS wäre von Israel und den USA erschaffen worden. Ein anderer schwadronierte über „Sklaven der internationalen kontrollierten Massenmedien“ und hantierte mit Holocaustvergleichen bezogen auf den israelischen Staat. Damit dürfte er nicht allzu weit von der Position des kümmerlichen Haufens BärGIDA-Gegendemonstranten entfernt sein, die mit Deutschlandfahnen gegen den Aufmarsch protestierten und von allen Beteiligten weitgehend ignoriert wurden. Sie stellten umgehend ihre vollkommene Ahnungslosigkeit unter Beweis, indem sie „Keine Salafistenschweine!“ skandierten – obwohl der Quds-Tag vom schiitischen Iran-Regime ausgerufen wurde, das Salafisten genauso als Feind ansieht.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass zumindest in Deutschland Hoffnung auf ein Umschwenken in der öffentlichen Debatte um den Nahostkonflikt besteht. Während die Teilnehmerzahl des Aufmarsches weit unter den Erwartungen seiner Organisatoren blieb, erfreuten sich die Gegendemos deutlichen Zulaufs. Die Antizionisten und Antisemiten haben, zumindest an diesem Tag, die Deutungshoheit auf der Straße verloren. Deutschland hat die Chance, seiner historischen Verantwortung gegenüber Israel gerecht zu werden und als Vorreiter gegen antizionistische Ressentiments in Europa aufzutreten. Auch die Piratenpartei kann ihren Beitrag dazu leisten: ein Positionspapier gegen Antizionismus und Antisemitismus, das in leicht verkürzter Form bereits von den Landesverbänden Bayern und Nordrhein-Westfalen angenommen wurde, ist für den kommenden Bundesparteitag eingereicht. Hetze gegen den jüdischen Staat ist genauso eine Form des Antisemitismus, wie Hetze gegen das jüdische Volk und die jüdische Religion. Es ist die moralische Pflicht jedes Einzelnen, dagegen anzukämpfen, damit sich die Gräueltaten, die in der Vergangenheit im Namen dieser menschenverachtenden Ideologie begangen wurden, niemals wiederholen.
About Boris Turovskiy
Ich bin 2009 über das Thema Urheberrecht zu den Piraten gekommen und habe seitdem an zahlreichen Programmpunkten zu verschiedenen Themen mitgearbeitet. Meine politische Haltung ist libertär, die Piratenpartei sehe ich als eine zukunftsorientierte, freiheitliche Kraft an.
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Kommentare
8 Kommentare zu Berlin gegen Antisemitismus und Antizionismus
„Kein Gott, kein Staat, kein Kalifat“? Anarchistische Atheisten für Israel! Das macht Sinn…
Was schiebt die Piratenpartei denn für eine naive israelfreundliche Schiene? Keine Kritik an der Siedlungspolitik?
Hetze gegen den jüdischen Staat ist genauso eine Form des Antisemitismus, wie Hetze gegen das jüdische Volk und die jüdische Religion.
Wut auf den israelischen Staat, der regelmäßig gegen das Völkerrecht verstößt, wird als Antisemitismus gesehen?! Mir ist doch völlig egal, dass in Israel größtenteils Juden leben, es könnten genauso Christen sein… Es geht den ehrlichen Israelkritikern nicht um Antisemitismus! Es geht um den verbrecherischen Kurs der Regierung! Fakt ist, dass die dortige Regierung ein anderes Volk jahrzehntelang unterdrückt, Land beschlagnahmt um unnötige Siedlungen zu bauen, und Sperranlagen baut um 10000ende palestinensische Bürger einzusperren. Der von einigen Gruppen angeführte Vergleich mit Konzentrationslagern ist — wenn auch problematisch — doch nicht ganz abwegig.
Natürlich sind die Palästinenser und besonders die Hamas keine Unschuldslämmer, jede Macht in der Region hat irgendwo Blut kleben, doch immerhin werden die Palästinenser in Gaza unterdrückt, ihnen wird das Land weggenommen, etc. Ohne diese Unterdrückung durch Israel gäbe es diesen Krieg nicht, gäbe es keine Hamas…
Also, Leute, ein bisschen differenzierter hatte ich mir ‘meine’ Piraten doch gewünscht!
Natürlich braucht es eine Gegendemonstration gegen die Al-Quds-Demonstration. Deren Ziele, Zerschlagung des irsaelischen Staates, muss man verurteilen und erwidern. Doch mir scheinen alle Seiten den Sinn für Realität verloren zu haben. In diesem Hintergrund berichtet die Flaschenpost viel zu einseitig.
Und was hat der Autor eigentlich gegen “linke Antiimperialisten” ? Meines Wissens ist die Piratenpartei ziemlich links (gut so!) und Imperialismus, wie heute noch von den USA, Russland, Israel und einigen anderen Staaten betrieben, wurde doch bisher von den Piraten verurteilt? Mir kommt der Artikel so vor, als hätte die Piratenpartei sich gerade um 180° gedreht! Ein Glück, dass er nicht die Meinung aller Piraten widerspiegelt.
Deutschland sollte sich nicht in diese Konflikte einmischen, keine Waffen und U-Boote mehr an Israel liefern (bzw. verschenken). Nach 70 Jahren haben wir keine Verantwortung mehr für das Wohlergehen von Israel. Die Piraten sollten sich für Neutralität Deutschlands in diesem Konflikt einsetzen und sich für typisch ‘piratige’ Themen, Innenpolitik und Soziales einsetzen.
Lieber Fachidiot, ich befürchte du hast da etrwas missverstanden: es geht um “HETZE” gegen den israelischen Staat, nicht um Kritik oder Wut. Hetze definiert der Duden mit “die Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen oder Handlungen, die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden oder etwas erzeugen.”.
Und unter den ehrlichen Kritikern an Israel und seiner Politik sowie den verabscheuungswürdigen Formen am rechten Rand des Zionismus, zu dene ich mich auch zähle, sind sehr sehr viele Antisemiten die diese Angriffsformen für ihre als Kritik getarnte Hetze nutzen.
Die Piratenpartei war immer einseitig pro-zionistisch ausgerichtet, obwohl inzwischen die übelsten […]
Der Fachidiot kommt anscheinend vom falschen Fach, was das thema angeht. Schuster, bleib doch bitte bei deinen Leisten.
Erstens: Wo wird jemand “in gaza” untersrückt? Wem wird da Land weggenommen? 2005 wurdeb die jüdischen Bevölkerungsteile aus Gaza deportiert, seitdem ist Gaza judenrein. Wer nimmt dort also jemandem Land weg? Haben Sie keine AHnung oder lügen sie gezielt?
Zweitens, ohne Israel gäbe es keine Hamas? Die Hamas ist der regionale Ableger der Muslimbruderschaft, und sie kämpft für ein islamistisches Palästina, und ohne Israel würde die Hamas eben gegen die anderen palästinensischen Organisationen kämpfen – gegen die säkular-nationalistische Fatah, gegen den vom iranischen Khomeinismus inspirierten islamischen Dschihad, gegen die arabischen Marxisten und gegen den von Jordanien geleiteten Waqf samt dessen Klerus und Sicherheitsdiensten auf dem Tempelberg kämpfen. Und gegen die ganzen kleineren und weniger bekannten innerpalästinensischen Gruppen, die ganz ohne Israel sich gegenseitig an die Gurgel gehen würden.
Drittens, ohne eine angebliche Unterdrückung “gäbe es keinen krieg”. Welchen krieg meinen Sie? Momentan gibt es einen Bürgerkrieg in jemen, einen in Syrien, dazu eine internationale Allianz die in Irak und Syrien gegen den IS kämpft, den ägyptischen Einsatz gegen den IS im Nordsinai, den Bürgerkrieg in Lybien – aber was Israek angeht, sehe ich keinen Krieg. Ich sehe einen ungelösten Konflikt, der seit etwaeinen Jahrhundert existiert, aber keinen Krieg. Und auch keine von ihnen angegebene Unterdrückung in Gaza – es sei denn Sie meinen mit “Unterdrückung” die mehrere Hundert Lastwagen täglich mit Hilfsgütern und die Wasser-, Strom- und Treibstoffversorgung die Israel nach Gaza leitet?
In einem einzigen kleinen Absatz haben Sie bereits so viele völlig wirklichkeitsfremde Fehler und Fehlinterpretationen eingebaut, dass man sich nicht mehr sicher sein kann, ob das absolute Ahnungslosigkeit ist, gepaart mit dringendem Mitteilungsbedürfnis ihrer Ressentiments, oder ob sie gezielt lügen und desinformieren wollen?
Aber gut, nehmen wir uns noch einen Absatz vor:
Religiöse und ideologische Fanatiker haben immer eine sehr einfache Weltsicht und suchen sich immer ein Opfer aus, dem sie die Schuld für ihre eigenes Versagen in die Schuhe schieben können. Sie selber sind aber einfach zu faul, hart zu arbeiten und einen konstruktiven Beitrag zu leisten, um die Not in der Welt zu lindern.
Wo sind diese Fanatiker denn zu finden, wenn es Katastrophen in der Welt gibt ? Dann verkriechen sie sich, weil sie zu feige sind, selbst ein Risiko einzugehen und zu faul, selber zu arbeiten.
Stalin war nie an der Front. Hitler, Goebbels und Göring haben Deutschland nicht gegen die Rote Arbeit verteidigt, sondern sich verkrochen und Selbstmord begangen. Fast alle Diktatoren sind selbst sehr feige. Die alten Männer, die junge islamische Männer zu Selbstmordattentätern ausbilden sind selbst zu feige. Sie könnten ja einmal mit gutem Beispiel vorausgehen. Nur einmal wenigstens.
Auweia,
ist das jetzt hier der zionistische Arm der Piratenpartei?
Das hier: “Was schiebt die Piratenpartei denn für eine naive israelfreundliche Schiene? Keine Kritik an der Siedlungspolitik?
Wut auf den israelischen Staat, der regelmäßig gegen das Völkerrecht verstößt, wird als Antisemitismus gesehen?! Mir ist doch völlig egal, dass in Israel größtenteils Juden leben, es könnten genauso Christen sein… Es geht den ehrlichen Israelkritikern nicht um Antisemitismus! Also, Leute, ein bisschen differenzierter hatte ich mir ‘meine’ Piraten doch gewünscht!”
Kann ich unterschreiben.
Antizionismus und Antisemitismus gleichzusetzen ist Demagogie.
Für mich sprecht/schreibt ihr nicht.
Pirat seit 2009
Hallo Sabine,
auch dir muss ich ähnlich wie dem Fachidioten sagen:
es geht um “HETZE” gegen den israelischen Staat, nicht um Kritik oder Wut. Hetze definiert der Duden mit “die Gesamtheit unsachlicher, gehässiger, verleumderischer, verunglimpfender Äußerungen oder Handlungen, die Hassgefühle, feindselige Stimmungen und Emotionen gegen jemanden oder etwas erzeugen.
Und unter den ehrlichen Kritikern an Israel und seiner Politik sowie den verabscheuungswürdigen Formen am rechten Rand des Zionismus, zu dene ich mich auch zähle, sind sehr sehr viele Antisemiten die diese Angriffsformen für ihre als Kritik getarnte Hetze nutzen.
Wenn du möchtest, reiche eine Gastartikel ein der sich mit der berechtigten Kritik an Israels Politik beschäftigt – ich persönlich würde mich darüber sehr freuen und stehe dir als Ansprechpartner, Lektor oder auch Mitautor zur Verfügung.
der Sperling
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