Zu einer Wahl gehören immer zwei: Der Wähler, der sein Kreuz macht, und der Wahlkämpfer, der sich für den Wahlerfolg engagiert. Deswegen ist es zweckdienlich, wenn das Wahlprogramm sowohl den Wähler als auch den Wahlkämpfer begeistert. Vor diesem Hintergrund ist die Umfrage zu sehen, die am 24. Mai als E-Mail an 16700 Mitglieder der Piratenpartei geschickt wurde. Der Teilnehmerkreis war somit auf die Piraten beschränkt, die bei der Mitgliederverwaltung eine Mailadresse angegeben hatten. Für etwa 2000 Piraten gab es keine Mailadresse, etwa 150 Mails erreichten aus verschiedenen Gründen den Empfänger nicht. Die Frist zur Teilnahme endete am 31. Mai. Bis zu diesem Stichtag hatten über genau 4700 Parteimitglieder abgestimmt, was eine außergewöhnlich hohe Zahl ist. Die Beteiligung liegt wesentlich über den Teilnehmerzahlen von vergleichbaren Umfragen zur Antragsreihenfolge an Bundesparteitagen, selbst aus den Jahren unseres Höhenflugs 2011 und 2012. Das ist für sich genommen ein wichtiges Ergebnis dieser Umfrage, das Grund für Optimismus gibt und den Darstellungen, die Piratenpartei wäre in der Auflösung begriffen, den Boden entzieht.

Schwerpunktthemen für kommende Wahlkämpfe – Mitgliederumfrage Mai 2015. Die vier Farben vor grün nach rot bilden die vier Antwortoptionen ab: unbedingt/eher ja/eher nein/auf keinen Fall
Die Themenabfrage offenbarte viel Zustimmung für die klassischen Kernthemen der Piraten:
- Privatsphäre und Datenschutz
- Transparenz des Staatswesens
- Mehr Demokratie wagen
- Freier Zugang zu öffentlichen Inhalten
- Informationsfreiheitsgesetze
- Whistleblowerschutz
Die Fragen wurden den Überschriften der einzelnen Themenbereiche im Parteiprogramm entnommen. Die Themen Asyl- und Migrationspolitik sowie Rassismus sind dort im Kapitel “Für die Vielfalt in der Gesellschaft” verankert und tauchen deswegen in der Umfrage nicht explizit auf – was ihrer Bedeutung für einen Teil der Parteimitglieder nicht gerecht wird. Im Ergebnis erscheint dieser Themenkomplex im Mittelfeld.
Damit dürfte für das noch zu erarbeitende Wahlprogramm eine Richtung erkennbar werden. Denn das Programm wird von Piraten gemacht, die sich für ihre Partei einsetzen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit stehen mit dem Ergebnis dieser Umfrage die Felder mit der größten Übereinstimmung fest – und für welche Themen die Wahlkämpfer bereit sind, sich einzusetzen.
Dagegen schnitten einige Themen, nämlich
- Wirtschaft und Finanzen
- Rentenpolitik
- Geschlechter- und Familienpolitik
- Gesundheitspolitik
- Jugendschutz
- Kulturpolitik
- Landwirtschaft
mit weniger als 15% klarer Zustimmung bei über 50% Ablehnung ab.

Statements zur Piratenpartei – Mitgliederumfrage Mai 2015. Die vier Farben vor grün nach rot bilden die vier Antwortoptionen ab: unbedingt/eher ja/eher nein/auf keinen Fall
Eine eigene Umfrageseite bekamen “Statements zur Piratenpartei”. Hier waren Fragen zum piratigen Selbstverständnis aufgeführt. Die Liste startete mit der Aussage “Wir PIRATEN sind die Partei der digitalen Revolution” und endete mit dem Versprechen “Als Pirat werde ich auch dann Wahlkampf machen, wenn keines ‘meiner Themen’ im Fokus steht”. Die Frage nach der “digitalen Revolution” bekam 85% Zustimmung, die Frage nach dem Wahlkampf trotz “anderer” Themen erhielt mit 58% nur ein mässiges Ergebnis.
Die geringste Zustimmung im Themenkomplex “Statements zur Piratenpartei” bekam die Aussage: “Im politischen Kampf sind für uns PIRATEN selbst Straftaten ein zulässiges Mittel”. Über 90% Ablehnung sind als klares Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit aufzufassen. Die höchste Zustimmung bekam die Aussage, dass die Piraten nach Außen mit einem klarem Markenkern auftreten sollten, was zeigt, dass das aktuelle, zerfahrene Bild, das die Piratenpartei inhaltlich abgibt, den meisten Mitgliedern bewusst ist und dass ein Wunsch nach Veränderung besteht. Hohe Zustimmung für die Aussagen, “PIRATEN stehen Technik positiv gegenüber” und “PIRATEN sind die Partei der digitalen Revolution” zeigt – gemeinsam mit den konkreten Themenbereichen, die hohe Zustimmung erfahren haben – auch deutlich, dass dieser Markenkern der Vorstellung von der Piratenpartei als Partei des digitalen Wandels sehr nahe steht.
Unabhängig von den konkreten Themen und Aussagen zeigt die Umfrage deutlich, dass die in den vergangenen Jahren scheinbar verlorengegangene Einigkeit der Piraten bei grundlegenden politischen Fragestellungen und Werten stärker denn je ist. Sowohl bei den Themen, als auch bei den allgemeinen Statements, konnten zahlreiche Aussagen Zustimmungswerte im Bereich von 90% verbuchen. Trotz aller Streitigkeiten über einzelne Themen, gibt es ein Fundament, das alle Piraten vereint. Das gibt Grund zur Hoffnung – und ist zugleich ein Appell an uns alle, sich öfter auf die Gemeinsamkeiten statt der Unterschiede zu konzentrieren.
Die Rohdaten für diese Umfrage frei verfügbar. Wir werden in einigen Tagen eine detailierte Auswertung veröffentlichen.
About Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervor ging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites grosses Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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Kommentare
4 Kommentare zu Digitale Themen gewinnen die Mitgliederumfrage
Wo sind denn die Rohdaten der Stimmen der angeblich über 4700 sich an der Umfrage Beteiligenden? Laut Rohdaten hätten sich exakt 4700 beteiligt, nicht über 4700.
Dass eine Legende unter den Bildchen fehlt, was genau die Farben bedeuten: Kann man so machen.
Moin, Danke für den Hinweis mit dem Farben. Wir werden die Bildlegende entsprechend erweitern. In der Auswertung die uns vorlag waren genau 4773 Einträge. Wir hatten dabei allerdings übersehen, dass darin auch Zwischenüberschriften und Leerzeilen als Trenner enthalten waren. Zieht man die ab (was richtig ist) reduziert sich die Anzahl der Datensätze entsprechend. Auch hier: Danke für den Hinweis.
Laut Statista (http://de.statista.com/statistik/daten/studie/201538/umfrage/mitglieder-der-piratenpartei-in-deutschland/) hat die Piraten-Partei zur Zeit 18695 Mitglieder. Das sind ungefähr die 18850, die man in diesem Artikel zusammenzählen kann. Aber: Es sind knapp 11%, die wegen fehlender Email-Adresse gar nicht befragt werden – ist das Basisdemokratie? 4700 Antworten entsprechen knapp 25% der Mitglieder. Das ist “eine außergewöhnlich hohe Zahl”? Da ist ja die Wahlbeteiligung bei der Landtagswahl in Bremen doppelt so hoch gewesen. Und die ist rundherum beklagt worden wegen ihrer Niedrigkeit. Die PIRATEN sind in Deutschland im Jahr 2006 gegründet worden. Neun Jahre später befragt der Parteivorstand die Basis danach, “wie sich die Piratenpartei zu den Wahlen 2017 ausrichten soll.” (http://www.daniel-schwerd.de/piratenpartei-innerparteiliche-beteiligung-am-ende/). So etwas müsste durch die Parteiprogrammatik längst geklärt sein. Die Piratenpartei ist eben nicht die “Partei des digitalen Wandels” (https://flaschenpost.piratenpartei.de/2015/05/28/piratenpartei-als-partei-des-digitalen-wandels/), sie hat offenbar keine verbindliche Kernthemen. Sie könnte die “Partei des digitalen Wandels” sein, sie ist es aber nicht. Sonst müsste sie sich nicht fragen nach ihren Themen. “Privatsphäre und Datenschutz, Transparenz des Staatswesens, Mehr Demokratie wagen”, das sind keine originären “Digital”-Themen. “Mehr Demokratie wagen” dürfte schon eher auf Willi Brandt zurückgehen. Lange, lange vor dem “Digitalzeitalter” … Und die “verlorengegangene Einigkeit der Piraten” sei zurück: Es waren (laut Statista http://de.statista.com/statistik/daten/studie/201542/umfrage/mitglieder-der-piratenpartei-in-deutschland/) einmal über 34.000 Piraten. Man hat sich also fast halbiert. Was bleibt ist der harte Kern, der sich immer noch selbst finden muss?
Dieses Ergebnis dieser Mitgliederumfrage ist leider wenig aussagekräftig und enthält sogenannte Kategorienfehler.
Ich würde als erstes empfehlen, die Daten neu zu analysieren und erstmal vor der Bildung einer Rangfolge eine Faktorenanalyse zu machen, um zu schauen, welche Items ähnliches erfassen und so zu einer Faktor zusammengefasst werden können. Die Aufteilung des Piratenprogramms allein kann nicht als eine Themenkategorisierung angesehen werden, die sich auf eine wissenschaftliche Evidenz berufen kann.
Mit einer entsprechenden Datenreduktion anhand ähnlicher Merkmale kann man die den Items zugrundeliegenden Dimensionen entdecken, wodurch hier ein gültigeres Ergebnis hinsichtlich der Prioretisierung von unterschiedlichen Themen zu erwarten ist und auch weniger Umfrage-Artefakte, die allein auf die Methode, unterschiedliche Abstraktionsebenen und Reihenfolgeeffekte in der Erstellung des Parteiprogramms zurückführbar sind. Erst, wenn man die (repräsentativ/zufällig) ausgewählten Thesen nach zugrundeliegenden Dimensionen geordnet hat, macht es eigentlich Sinn, den 2. Teil der Umfrage anhand der zugrundeliegenden, realen Themendimensionen zu strukturieren und möglichst gleichmäßig Fragen aus den faktorenanalytisch ermittelten Dimensionen abzufragen.
Ein weiteres Problem entsteht hier durch die selektive Auswahl von (vglb. wenigen) Einzelaussagen, die schon allein anhand der Anzahl der Aussagen nicht als repräsentativ angesehen werden kann. Über die genaue Systematik des Vorgangs zur Auswahl von Einzelaussagen aus dem Parteiprogramm im zweiten Teil ist leider kaum Info vorhanden. Es ist zudem zu vermuten, dass die Abbildungs- und Interpretationsfehler aus dem 1. Teil sich weiter auf die Gültigkeit, Repräsentativität und Interpretierbarkeit des 2. Teils auswirkt.
Meine Empfehlung wäre daher, sich konkret zurückzuhalten in der Verbreitung solch methodisch fehlerbehafteter Ergebnisse. Eine Faktorenanalyse ist grundsätzlich die Methode, um zugrundeliegende Kernthemen in einem Parteiprogramm zu finden. Ich schätze aber, dass auch die Ergebnisse einer Faktorenanalyse mit diesem methodischen Vorgehen wenig verallgemeinerbar sind, weil allein schon das Design und die potentiell mit einem Versuchsleiter-Erwartungseffekt behafteten Auswahl der Fragen inklusive der Skalierung hakt. Hier ist eine Korrektur & Neuplanung hinsichtlich des Vorgehens der Ermittlung von Kernthemen unbedingt empfohlen, wenn man sich nicht lächerlich machen will.
Fazit: Um zuverlässige, gültige und objektivierte Ergebnisse hinsichtlich Anzahl & Prioritäten von Kernthemen/-dimensionen zu bekommen, ist über die Gütekriterien der Einzelaussagen, eine Faktorenanalyse notwendig, um die dem Parteiprogramm zugrunde liegenden Kernthemen zu ermitteln. Für eine methodisch saubere Ermittlung der Kernthemen ist zudem eine repräsentative Auswahl von Einzelthesen zwingend notwendig. Erst, wenn diese Mindestanforderungen erfüllt sind, kann man sich auf ein gültiges, möglichst unverzerrtes Ergebnis hinsichtlich der Prioritäten von Kernthemen berufen. Eine Korrektur & Neuplanung hinsichtlich des Vorgehens zur Ermittlung und Prioretisierung von Kernthemen wird dringend empfohlen.