Mechthild Heil antwortete öffentlich. Die Fragen mit ihren Antworten wurden von der lokalen Presse publiziert. Dies ist ein bemerkenswerter Erfolg der Aktion, der vielleicht auch anderen Piraten Mut macht, sich der Kampagne anzuschließen und ihre Volksvertreter anzuschreiben!
Je größer die mediale Aufmerksamkeit, je öffentlicher die Diskussion über die umstrittenen Freihandelsabkommen, umso wahrscheinlicher wird es, dass die Forderungen der Kritiker zu den Verantwortlichen durchdringen.
Frau Nahles aber hat bislang weder auf den Brief noch auf die Fragen geantwortet. Gernot Reipens Offener Brief wirft nämlich ein grelles Schlaglicht auf einen besonderen Aspekt von TTIP, TISA und CETA, der öffentlich bisher wenig Beachtung fand: Kaum jemand weiß, dass sogenannte „Schwellenländer“ durch die geplanten Freihandelsabkommen wirtschaftlich gravierend benachteiligt werden, sodass zu befürchten ist, dass noch mehr Menschen in Schwellenländern und in der Dritten Welt verarmen.
Offener Brief an Frau Andrea Nahles, Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Anfang letzter Woche habe ich Ihnen im Rahmen einer bundesweiten Aktion der Piratenpartei einen Brief mit sechs Fragen zu den Freihandelsabkommen TTIP und CETA in Ihrem Bürgerbüro in Andernach zukommen lassen. Meine Teilnahme an dieser Aktion erfolgte nicht nur als Mitglied der Piratenpartei, sondern vor allem und in erster Linie als besorgter und kritischer Bürger Ihres Wahlkreises.
Im vergangenen Jahr habe ich in Remagen und in Sinzig Unterschriften für die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA gesammelt. Ich konnte eine breite Unterstützung aus der Bevölkerung für diese Unterschriften-Aktion feststellen. Das belegt auch die Anzahl der Unterschriften, die allein am 11.10.14 gegen TTIP und CETA bundesweit eingesammelt wurde. Besonders die Bürgerinnen und Bürger, die sich mit diesem Thema näher beschäftigen, zeigen überwiegend eine sehr kritische Haltung zu den Freihandelsabkommen. Und ich finde mit Recht.
Es kann und muss davon ausgegangen werden, dass einzig und allein wirtschaftliche Interessen in diesen Freihandelsabkommen verankert werden. Und das, was bislang aus den geheimen Dokumenten und Verhandlungen an die Öffentlichkeit vorgedrungen ist, bekräftigen diese Befürchtungen zunehmend.
Ich möchte aber mit dieser Korrespondenz nicht noch einmal auf die sechs kritischen Fragen meines Briefes der vergangenen Woche eingehen, die ich im Anhang meines Schreibens noch einmal angefügt habe. Vielmehr möchte ich auf ein Thema zu sprechen kommen, dass mich sehr beunruhigt und das meiner Meinung nach bei den derzeitigen Diskussionen über die Freihandelsabkommen nicht ausreichend Beachtung findet.
Seit der Völkerwanderung (375 – 568 n. Chr.) und der Vertreibung unzähliger Menschen als Folge des Zweiten Weltkrieges sind weltweit mehr Erdenbürger auf der Flucht als je zuvor! Die Uno-Flüchtlingshilfe schätzt, dass weltweit 51,2 Mio. Menschen derzeit auf der Flucht sind. In der EU haben 300.000 Menschen im Jahre 2012 Asyl gesucht. Im ersten Halbjahr 2014 waren es bereits mehr als 230.000 Menschen. 109.580 Asyl-Erstanträge wurden 2013 in Deutschland gestellt – ein Anstieg um rund 45.000 (70 Prozent) im Vergleich zum Vorjahr.
Zu erwähnen ist, dass Nahrungsmangel nicht mehr als Hauptgrund dieser Flüchtlingswelle genannt werden kann. Es sind besonders politische und in zunehmendem Maße auch wirtschaftliche Gründe, die die Menschen bewegen, ihre Heimat zu verlassen. An dieser menschlichen Tragödie tragen wir Europäer meinem Empfinden nach eine wesentliche Mitschuld! Die von den Amerikanern angezettelten und von den Europäern unterstützten Kriegshandlungen in Afghanistan (2001) und Irak (dritter Golfkrieg 2003) haben wesentlich zur Destabilisierung im Nahen Osten und zur Radikalisierung von Bevölkerungsgruppen beigetragen. Die NATO-Osterweiterung, die alle Vereinbarungen mit Russland zur Wiedervereinigung Deutschlands missachtet hat, hat grundlegend und nachweislich zum Ukraine-Konflikt beigesteuert. Neben politischen Beweggründen wirkten bei allen drei genannten Punkten auch wirtschaftliche Interessen im Hintergrunde mit.
Die geplanten Freihandelsabkommen zwischen Europa und Kanada bzw. USA werden nach meiner Einschätzung zusätzliche Bausteine in dieser weltweiten Destabilisierungsspirale sein. Mit diesen Freihandelsabkommen wird ein riesiges und mächtiges Wirtschaftsgefüge entstehen, das weltweit massiven Druck auf wirtschaftliche Standards und Normen ausüben und gerade Drittländer und Schwellenländer in ihrer Entwicklung und bei ihrer Teilnahme am weltweiten Handel wesentlich beeinträchtigen wird. Der wirtschaftliche globale Verteilungskampf wird dadurch noch weiter gestärkt, soziale Konflikte werden geschürt, die Spaltung zwischen arm und reich wird weiter ausgedehnt. Meine Ausführungen zeigen nur allzu deutlich, dass wirtschaftliche Interessen, wirtschaftliche Förderung und wirtschaftliche Freiräume allein keine Gewähr für Wohlstand, friedliche Koexistenz und soziokulturelle Teilhabe aller Menschen darstellen müssen!
Ich denke, dass meine Befürchtungen berechtigt sind und dass ich diese Sorgen mit vielen Mitmenschen in unserem Land teile. Das bestätigt auch meine Teilnahme an der SPD-Veranstaltung „Herausforderungen und Chancen der Freihandelsabkommen TTIP und CETA“ mit Detlev Pilger und Dr. Nina Scheer vergangenen Donnerstag in Koblenz. Das Auditorium war durchweg sehr kritisch bis ablehnend gegenüber TTIP und CETA eingestellt.
Vielleicht lassen sich meine Sorgen und Ängste durch Beantwortung meiner Fragen entkräften oder zumindest relativieren. Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden und möchte ich mich schon im voraus für Ihre Bemühungen herzlich bedanken.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Gernot Reipen
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Seit Juli 2014 Redakteurin der Flaschenpost. Bürgerliches, also nicht gewähltes Mitglied der Kreistagsfraktion Linke und Piraten in Pinneberg, Schleswig-Holstein. Parteimitglied der Linken.
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Kommentare
6 Kommentare zu Frau Nahles, wie hältst Du’s mit den Freihandelsabkommen TTIP, TISA und CETA?
Die Aktion hat sich leider als kontraproduktiv erwiesen. Frau Heil bekommt Gelegenheit Nebensächlichkeiten ausführlich darzustellen und der Frager hat keine Möglichkeit, diese so plausibel klingenden “Argumente” bloßzustllen. Z. B. geht es bei Umweltstandarts darum, das die Gefahr besteht etwas festzuschreiben, was kontinuierlich einer Verbesserung bedarf, jede Verbesserung aber von den Nutznießern des Kapitalismus als “Schädigung des Profits” abgewhrt werden kann.
Der Initiator der Aktion “Frag deinen Bundestagsabgeordneten nach den Freihandelsabkommen” sah als wichtige Ziele der Aktion den öffentlichen Druck durch die Fragen, die die Abgeordneten dazu zwingen, sich mit den Freihandelsabkommen auseinanderzusetzen zu setzen und die Diskussion so am laufen halten. Mit der Tatsache, dass die Antworten der Politiker den Kritikern nicht gefallen und diese nicht augenblicklich reagieren können, damit muss man leben und die gegensätzlichen Positionen auch anhören. Die ausweichenden Antworten der Politiker können zudem entlarvend sein und zitiert werden, z.B. in Artikeln oder auf Veranstaltungen. Dies spricht – aus meiner Sicht- für die Teilnahme an der Aktion, die ich weiterhin aus den genannten Gründen sinnvoll und zielführend finde.
Ich finds äußerst schade, das man hier wieder auf das billige Niveau der Angstmacherei zurückgreift. Gibt es wirklich keine Sachargumente, die man ehrlich und ordentlich darlegen kann?
@Lisa: Kapitalismus war und ist (und wird auch immer nur) Mittel zum Zweck bleiben. Wer das nicht will, kann ja gern zum Naturalhandel zurückkehren.^^ Geld hat keinen echten Wert, sondern nur einen Fiskalischen – ergo macht viel Geld auch nicht reich, sondern schafft als Neutrale Werttauscheinheit einfach nur Möglichkeiten. Echter Reichtum war und ist stets Eigentum gewesen.
Ich weiß nicht genau, worin du die “Angstmacherei” siehst, aber Gernot Reipen versucht mit seinem Brief auf eine allgemein bekannte, wenn auch wenig diskutierte Folge der Freihandelsabkommen hinzuweisen: die Benachteiligung der Dritte Welt Länder und der Schwellenländer. Natürlich führt dies zu weiterer Verarmung zahlreicher Menschen. Angst macht Menschen eigentlich die Befürchtung Standarts im Verbraucherschutz oder Umweltschutz könnten fallen und die Politik wäre durch die Investorenschutzklausel handlungsunfähig. In der Flaschenpost haben unterschiedliche Positionen Raum – siehe z.B. zuletzt die Artikelserie von Thomas Blechschmidt und weitere ältere Artikel. Vielleicht findest du, dass ein anderer Artikel aus der Flaschenpost- Argumente strukturierter darlegt.
Nachdem wir erlebt haben, wie dilettantisch in der EU die Einführung des Euros erfolgte und die Überwachung der Banken völlig versagte, müssen wir davon ausgehen, dass das Freihandelsabkommen auch dilettantisch verhandelt wird und wir die nachteiligen Folgen erst nach einigen Jahren erfahren werden, wenn es zu spät ist, noch etwas zu ändern.
Die grosse Gefahr ist, dass das amerikanische Rechtssystem in die EU eindringen kann und unsere Europäischen Gesetze aushebelt. Die amerikanischen Rechtsanwälte würden sich über so viel Dummheit der Europäer freuen. Leichter können sie ihr Geld nie verdienen.
Wir müssen vor allem erreichen, dass europaweit eine Volksabstimmung durchgeführt werden muss, denn kein Europäischer Wähler hat mit seiner Stimmenabgabe die Abgeordneten ermächtigt solch weitgehende Verträge abzuschliessen.
Solch ein Vertrag könnte auf Dauer verhindern, dass wir jemals eine Europäische Verfassung erhalten werden. Er würde deshalb auf Dauer die EU so stark schwächen, dass sie nur noch eine Marionette der USA ist und ihr weltpolitscher Einfluss verschwindend gering wird. Die EU könnte sich dann nie zu einem starken Friedensfaktor in der Welt entwickeln.
Moin,
ich möchte der von dir unterstellten “die USA wollen uns edle Europäer unterjochen und versklaven”-Absicht widersprechen. Es geht bei den zu kritisierenden Details von TTIP nicht um “Amerika vs. Europa” sondern um “Wirtschaft über alles”. Parlamente sollen nur noch eingeschränkt Gesetze erlassen die Unternehmen beim Geldverdienen hindern können. Es geht sogar noch ein bisschen weiter: Die grossen sollen die kleinen Fressen dürfen. Ein Konzern der sich die teuren Anwälte leisten kann wird vor dem Schiedsgericht (faktisch eine Paralleljustiz) mit grosser Wahrscheinlichkeit gegen kleine Firmen siegen. Ein grosses europäischers Unternehmen könnte genau so leicht ein amerikanisches Familienunternehmen in die Tasche stecken wie umgekehrt. Alleine die Beobachtung, dass die grossen, international aufgestellten Unternehmen TTIP befürworten sollte dir zu denken geben. Mit dabei in der Runde der TTIP-Befürworter sind auch “wirtschaftsliberal” denkende Politiker, die den Einfluss des Staates auf unternehmerische Tätigkeiten gerne reduzieren wollen.
Die Macht wird also auf die Kopf gestellt: Big Buissnss bestimmt. Der Gesetzgeber spielt zukünftig keine Rolle mehr, der Bürger wird auf seine Rolle als williger Verbraucher (gerne 100% des Einkommens oder noch mehr ausgeben) reduziert. Ganz perfide: selbst wenn die Regierungschefs die TTIP nun also unterschreiben wollen eines Tages keine aktive politische Rolle mehr spielen könnte hat eine Regierung die etwas an TTIP ändern wollte keine Chance: Verträge lassen sich anders als Gesetze nicht einseitig ändern. Wer heute sagt “egal was man wählt – es ändert sich ja nichts” wird sich nach dem Vertragsabschluss noch mehr bestätigt sehen.
Doch bei aller Kritik an TTIP: die amerikanische Seite am Verhandlungstisch unterscheidet sich durch nichts von den Vertretern der EU. Kein Grund also eine “Ami Go Home” Stimmung zu erzeugen.
CU
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