[Update: Bitte beachtet auch die Ergänzungen und Berichtigungen unten im Kommentar von Gero Nagel. Die Redaktion]
Wenige Akkreditierte, bis zu acht Vorstände sollten gewählt werden – der Landesparteitag in Bremen wurde zum Desaster. So stellte es sich zumindest für die Außenstehenden dar, denn viele Spekulationen und Gerüchte machten die Runde, nachdem der Stream im Mumble, die einzige glaubhafte Informationsquelle, abgeschaltet wurde. Tatsächlich war es weniger spektakulär, als es sich viele in ihrer Phantasie ausmalten.
Streit im Vorfeld
Dass dieser Parteitag Konfliktpotential mit sich bringen würde, war schon am Vortag klar. Denn um den “Pluralismus zu fördern” und zur Wahrung des Friedens wurde im Vorfeld des Parteitags ein Hausverbot für die Mitglieder des Bundesvorstands ausgesprochen. Ob das Hausverbot in Bremen rechtlich einwandfrei war, wird von Satzungsnerds bezweifelt. Denn nach der Geschäftsordnung kann nur der Versammlungsleiter ein Hausverbot aussprechen, nicht jedoch der (noch) amtierende Landesvorstand. Die Mitglieder des BuVos, die eigentlich nach Bremen fahren wollten, beschlossen dem Konflikt und der angedrohten “Entfernung durch die Polizei” aus dem Weg zu gehen und 150 km weiter nach Hamburg zu fahren, wo zeitgleich ein Landesparteitag nebst Aufstellungsversammlung für die anstehende Wahl der Bürgerschaft im Februar stattfand. So kam es, dass am Samstag beim #lpthh in Hamburg acht BuVo-Mitglieder waren, in Bremen keiner.
Aus Kreisen der politischen Geschäftsführer war zu erfahren, dass sich der LV Bremen schon seit mehreren Monaten der Zusammenarbeit mit der Bundespartei und anderen Landesverbänden entzog, weil diese nicht “antifaschistisch” genug wären.
Chaos am Samstag
Akkreditiert waren anfangs 25 Piraten, die jedoch unter der schlechten Netzwerkanbindung litten, die über einen Freifunkknoten erfolgte. Die Informationen nach draußen sollte in einem Stream ins Mumble erfolgen, dafür hatte der Landesvorsitzende Sebastian Raible Hardware aufgebaut. An einen Videostream war unter diesen Umständen nicht zu denken, das Protokoll konnte leider auch nicht online verfolgt werden.
Die Wahl des 1. Vorsitzenden verlief anders, als von vielen erwartet: Sebastian Raible unterlag Volker Menge. Die Kandidaten für die anderen Vorstandsämter hatten wohl fest mit Sebastian gerechnet – und zogen ihre Kandidatur zurück. Sebastian selbst erwägte, seine Wiedereinsetzung vor einem ordentlichen Gericht zu erzwingen, gab dann aber via Twitter seinen Austritt bekannt, baute seine Technik und damit auch den Stream ab und ging. Zurück blieb eine Versammlung ohne Verbindung zur Außenwelt und ein Parteitag ohne Kandidaten. Dabei wären noch bis zu sieben Vorstandsämter zu besetzen gewesen. Nicht wenig für den Landesverband eines kleinen Stadtstaats und noch 23 Anwesende. Denn ein Pirat bekam vom Versammlungsleiter Gero Nagel einen Saalverweis. Meinungsbilder wegen des Hausverbots für den BuVo ergaben kein eindeutiges Bild, allerdings wurde später am Tag signalisiert, dass die Mitglieder des Bundesvorstands wohl keinen Rausschmiss fürchten müssen, wenn sie zur Fortsetzung des Parteitags am Sonntag um 10 Uhr anreisen würden. Der Weserkurier schrieb inzwischen von einem Eklat.
Wahl am Sonntag
Am Sonntag waren tatsächlich Stefan Körner und Kristos Thingilouthis dabei. Nachdem der Vorsitzende schon am ersten Tag gewählt wurde, standen laut GO von Bremen die Wahl von bis zu zwei Stellvertretern, dem Schatzmeister und bis zu fünf Beisitzer an. Es fanden sich zwei Beisitzer-Kandidaten und zwei für den stellvertretenden Vorsitz. Die Aufgaben des Schatzmeisters übernahm einer der stellvertretenden Vorsitzenden.
- 1. Vorsitzender: Volker Menge
- Stellvertreter: Robert Bauer
- Stellvertreter und per Akklamation auch Schatzmeister: Reinhard Schmitz
- Beisitzer: Christian Heiß
- Beisitzer und per Akklamation stellvertretender Schatzmeister: Volker Groos
Das Schiedsgericht wurde nicht neu gewählt, da niemand für diese Ämter kandidieren wollte. Alle Mitglieder des neuen Landesvorstands bringen Erfahrung aus Vorstandsaufgaben aus Kreisverbänden mit.
Mit der Wahl des neuen Vorstands wurde die drohende kommissarische Verwaltung durch den Bund abgewendet. Ob Bremen tatsächlich wieder handlungsfähig werden wird, hängt nicht zuletzt von der Qualität der Wiederaufbauarbeit des neuen Vorstands in Bremen ab.
Das Protokoll des LPT gibt es inzwischen online auch in seiner endgültigen Form zum nachlesen.
About Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervor ging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites grosses Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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Kommentare
6 Kommentare zu Fakten und Gerüchte vom LPT in Bremen
Ein paar Berichtigungen von mir, der Versammlungsleitung.
Sebastian Raible hat keine “Hardware aufgebaut” um zu streamen, sondern seinen Rechner aufgeklappt und per eingebauten Mikrofon einen Mumble-Stream angeboten. Zur Mittagspause klappte er ihn zu und nach der Pause nicht wieder auf. Er war allerdings sehr wohl noch den ganzen Samstag vor Ort.
Mir ist nicht bekannt, dass Sebastian seine Wiedereinsetzung erzwingen wolle. Weder erzähte er es mir, noch der Versammlung. Ich habe keinerlei Anhaltspunkte für dieses Gerücht. Genau genommen war mein Eindruck eher, dass er glücklich ist, nicht mehr Vorstand sein zu müssen und eher aus Pflichtgefühl nochmal kandidierte. (Wobei ich das nur mutmaßen kann.)
Nach dem Saalverweis ging der Parteitag am Samstag nicht weiter. Erst pausierten wir um die Situation wieder zu beruhigen, aber es wollte keine Ruhe einkehren, sodass ich den Parteitag auf Sonntag vertagte in der Hoffnung, dass sich die Gemüter bis dahin wieder beruhigt haben.
Die Satzungsänderung, die am Samstag angenommen wurde, besagt, dass (nicht bis zu zwei, sondern genau) zwei Stellvertretende Vorsitzende gewählt werden und noch bis zu fünf Beisitzer. Wie der Vorstand gewählt wird, wird auch in der Satzung geklärt, nicht in der Geschäftsordnung.
P.S. Nachdem ich schon eine telefonische Quelle für den Artikel war, schicke ihn mir doch beim nächsten Mal vorab zum Faktencheck 🙂
Schade, je länger je mehr demontiert sich die ganze Piratenpartei. Vielleicht ist es an der Zeit, darüber nachzudenken einen Schlussstrich zu ziehen und die Partei aufzulösen. Aber was aktuell in Deutschland abgeht hat mit der ursprünglichen Idee nichts mehr zu tun.
Puh, was für ein WE für Euch. Da spielen sich menschliche Tragödien ab und so pübertäres Verhalten von so einigen. Ich meine hier nicht den Rückzug der anderen Vorstandskandidaten, dies kann man aktzeptieren wenn der eigene Kandidat mit dem man arbeiten wollte nicht zum Zug kam.
Den verbliebenen Mitgliedern und dem LV ihr habt jetzt die Chance zu zeigen was ihr könnt und ob Piraten nochmals zurückkommen. Bei der Wahl wird nicht viel zu holen sein und der Prozess vielleicht alte Mitglieder zu motivieren bzw Ex-Mitglieder zum Wiedereintritt zu bringen wird sicherlich schwer. Aber mit der Zeit kann es klappen aber dafür ist ein Zeithorzont von 2-3 Jahren nötig. Legt die Grundlage arbeitet gut und vertrauensvoll und wenn es Probleme gibt redet miteinander. Viel Glück und immer ne Handbreit Wasser unterm Kiel wird schon und danke
So, mal zum Thema Faktencheck ! Dafür das Sebastian nur aus Pflichtgefühl angetreten ist wurde die Abwahl aber sehr persönlich genommen, wie man auch seinem Blogeintrag entnehmen kann, wo von Putsch und “linke abwählen” die Rede ist. Das weitere Verhalten möchte ich mal besser nicht kommentieren, es reicht wenn andere ständig nachtreten. Die Wieder-Aufbau-Arbeit wird schwer genug bei dem, was hinterlassen wurde. Keine Ahnung, ob nach dem Saalverweis von Erich Ruhe einkehrte, da der Kreisverband Bremerhaven aufgrund dessen geschlossen die Veranstaltung verließen, ebenso Mitglieder des KV Bremen Nord. Blieb ja nicht mehr viel mit dem man hätte weitermachen können außer der antifaschistischen Ecke, die ja eh den Rest des LPT boykottierten und lediglich noch durch Gejohle und Zwischenrufe auffielen. Bei aller Wertschätzung, wenn der alte Vorstand denn so gut gearbeitet hat, wo sind dann all die Mitglieder der Piraten gewesen um diese gute Arbeit zu würdigen und sich zu beteiligen ? Kurzum, ich finde das ständige Nachtreten einfach nur schäbig und habe mich bisher zurückgehalten, ob auf der Mailing-Liste oder sonstwo, aber dann auch noch die ganze Sache jetzt schönzufärben was den alten Vorstand betrifft – dafür braucht man schon eine Menge Chuzpe. Wie das Hausverbot und der Saalverweis zustande gekommen sind kommentiere ich jetzt mal besser nicht…. Gruß vom KV Bremerhaven, Alex
Für eine seriöse politische Partei ist solch ein Verhalten einfach nicht tragbar. Wenn schon die eigenen Parteimitglieder nicht in vernünftiger Weise miteinander umgehen können, darf man ihnen doch keinerlei politische Einflussnahme gestatten. Also kann man die Piratenpartei vorläufig nicht wählen. Sie muss sich von einem chaotischen Haufen wandeln zu einer politischen Gemeinschaft, die sich wichtige politische Ziele setzt und dann ausdauernd arbeitet, sie zu erreichen. Mit Selbstzerfleischung und internem Palaver funktioniert das aber nicht. Es gibt doch ausreichend viele Probleme, die unbedingt gelöst werden müssen, wie zum Beispiel: 1. Bedrohung durch genmanipulierte Pflanzen und internationlae Grosskonzerne wie Monsanto, die Messdaten fälschen und fast alle Saatbetriebe aufgekauft haben. 2. Normierungswahnsinn der Brüsseler Behörden im Bereich Lebensmittel , wie Tomaten zum Beispiel, stoppen. Durch beide Einflussmassnahmen wird die Pflanzenvielfalt der Nutzpflanzen weltweit bedroht und Farmer in den Selbstmord getrieben ( ca. 100 000 Farmer in Indien ) 3. Abschlachten der Waale durch die japanische Regierung, damit ihre Wissenschfter schmackhafte Versuchstiere essen können ( und die Weltöffentlichkeit duldet seit Jahrzehnten, dass die japanische Regierung sie schamlos belügt )
Diese Liste lässt sich leicht um hunderte weiterer Punkte ergänzen.
Was können wir dagegen tun ? Die stärkste Macht der Welt mobilisieren: Global Kaufboykotte durchführen. Wie viele Tage wird die japanische Regierung durchhalten, wenn niemand auf der Welt mehr japanische Produkte kauft ?
Die Welt, und die Wale, zu retten wird sicher nicht dem LV Bremen der Piratenpartei Deutschland mit verbliebenen vielleicht 15 Aktiven gelingen.
Der sich zu einer Art Religionskrieg entwickelnde Grabenkrieg innerhalb der Partei, der diese, das ist korrekt, unwählbar macht, wurde in Bremen als Version im Wasserglas vorgeführt.
Hausverbot für Funktionsträger der Partei, so was geht niemals GAR NICHT, und die Wahlen auf Piratenparteitagen sind inzwischen verkommen zu unechten Listenwahlen. Es gibt ‚heimliche‘ Listen, deren Existenz man erst im Verlauf der Wahl erkennt, wenn nämlich reihenweise Kandidaten hinschmeißen nach der erfolgten Wahl einer Person, und plötzlich andere Kandidaten als sogenannte Spontankandidatur aufpoppen, die keine Lust hatten, bereits vorab beim ‚Kandidatengrillen‘ abgeflammt zu werden.
Dahinter stehen jeweils „er kann nicht mit dem“-Konflikte, die, je jünger die Parteimitglieder, je pubertärer und tiefer unter der Gürtellinie ausgetragen werden.
Die Partei muss man deshalb nicht gleich auflösen, aber es empfiehlt sich, nun Bilanz zu ziehen und vor allem Ursachenforschung zu betreiben, wie es dazu kommen konnte.
Die offenen und oft auch fehlenden Strukturen der Partei wurden ihr zum eigenen Strick. Für einen Neuanfang könnte es bereits zu spät sein, denn die Verbindung „Piraten-zerstrittener Haufen“ in der öffentlichen Wahrnehmung wirkt lange nach, und das demotiviert die noch Verbliebenen und schreckt Neulinge ab.
Es ist auch unsinnig, jetzt über Spaltung ernsthaft nachzudenken, denn kleine sektiererische Gruppen oder auch kleine bürgerliche Ein-Themen-Vereine holen nie und nimmer irgendwo 5% oder gar mehr.
Die Piratenpartei hatte ihre Chance ausschließlich in der Vielfalt. Es gelang ihr nicht, diese Vielfalt zu leben. Persönliche Egosimen, Denkverbote, Intoleranz, ein falsches Politikverständnis und fehlende Kultur und Struktur, um Streit auszutragen und in konstruktives Neues zu überführen haben die Partei scheitern lassen.
Für ein RIP ist es zu früh, aber ein ‘Weiter so’ wäre ebenso falsch. Geht gemeinsam in Klausur, und legt euch die Karten, analysiert die Ursachen für den Niedergang, und zieht die Schlussfolgerungen!
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