Ein Gastartikel von Thomas Küppers
Wir werden gewinnen und kontinuierlich Wählerstimmen hinzugewinnen. Das ist mein Ernst und keine Durchhalteparole. Wir werden gewinnen, nicht weil wir die tollen Piraten sind, sondern weil wir jung sind. Unser Altersdurchschnitt liegt weit unter dem der anderen Parteien – aktuell 39 Jahre. Es gibt ein Aber: Wir werden gewinnen, wenn wir es schaffen eine faire Diskussionskultur zu etablieren – daher möchte ich, dass wir gezielt Flügel bilden.
In unserer Partei ist Musik – es wird debattiert und gestritten, dabei bleibt kein Ziegel auf dem anderen und alles ist in Bewegung. Bewegung bedeutet Leben – Leben bedeutet neue Ideen. Bewegung bedeutet aber auch, dass mal wer überrannt wird und dadurch vielleicht frustriert unsere Partei verlässt. Daher brauchen wir Spielregeln – Spielregeln um die Debatten zu bündeln und eine unkontrollierte Eskalation zu vermeiden. Das Werkzeug dazu heisst: Flügelbildung.
Flügel sind dazu da, um unterschiedliche Meinungsströme in einer Partei darzustellen. Sie bieten einen Rahmen, um unter Gleichgesinnten über politische Themen zu diskutieren und schneller eine gemeinsame Haltung zu erreichen. Sie bilden die unterschiedlichen Meinungsströmungen in einer Partei ab und vor allem stellen sie transparent dar, wie die Machtstrukturen innerhalb einer Partei verlaufen. Oder anders: wer steht für was.
Wir haben zwar bereits ausgebildete Machtstrukturen in der Piratenpartei, allerdings sind diese nicht sichtbar. Kleineren Interessengruppen – sogenannten Peergroups oder Schattennetzwerke – schließen sich zusammen, um Kandidaten zu unterstützen, oder um politische Ziele durchzusetzen. Dies ist normal – so funktioniert Politik. Wer aber Mitglied einer solchen Interessengruppe ist, erscheint nirgendwo. Als transparente Partei können wir diesen Zustand nicht länger dulden. Da sehe ich akuten Handlungsbedarf – daher: Flügel bilden.
Bleibt nur noch die Frage, wie machen wir das und wie sollten Flügel aussehen? Bevor wir zu dieser Frage kommen, zunächst ein kleiner Rückblick, denn es gab bereits zwei Versuche, Flügel in unserer Partei zu bilden: Gruppe 42 und das Frankfurter Kollegium. Die Gruppe 42 ist gescheitert, weil das Konstrukt zu lose war und es keine Organisationsstruktur gab. Das Frankfurter Kollegium ist ein Verein – die Machtstrukturen waren schlecht dargestellt und das Gesamtpaket wenig einladend gestaltet.
Egal was man von beiden Gruppierungen hält: der Versuch war löblich und den Organisatoren zolle ich tiefen Respekt. Gescheitert sind beide Versuche aufgrund einer entscheidenden Komponente: es fehlte ein geeigneter Gegenspieler – mit nur einem Flügel kann man nicht fliegen. Halten wir fest: Wir brauchen zwei Flügel.
Wie sollten nun die beiden Flügel aussehen? Beide Flügel müssen sich dem Transparenzanspruch der Piratenpartei unterordnen, ferner hürdenfrei vielen Piraten die Teilhabe ermöglichen. Neben basisdemokratischen Strukturen benötigen beide Flügel ein organisatorisches Rückrat, sowie Köpfe, die im Notfall entscheiden und die Position des jeweiligen Flügels nach außen vertreten.
Der entscheidende Aspekt ist, welche politischen Strömungen die Flügel vertreten. Anbieten würde sich eine Einordnung in einen bürgerlich-liberalen Flügel und einen linken Flügel. Das würde schon, wie beim Frankfurter Kollegium, schief gehen und führt im Extremfall zu einer Spaltung der Partei. Eine andere Möglichkeit stellt das Modell der Grünen da: Fundies und Realos. Die “Fundies” wären dabei die Wächter der Grundwerte der Partei – Demokratie, Transparenz und Teilhabe – während die “Realos” sich um die realpolitische Umsetzbarkeit kümmern. Diese Möglichkeit der Flügelbildung klingt in meinen Ohren altbacken, so 80iger. Im Gegensatz zu den Grünen treffen bei uns nicht die Wertvorstellungen der Gegenbewegung auf die Realpolitik älterer Generationen. Die Wertvorstellungen der Gegenbewegung sind bei uns so tief verankert, dass niemand mehr dran rüttelt – regelmässige 2/3 Mehrheiten für das BGE sind der Beweis dafür.
Mein Vorschlag wäre eine Trennung in einen kritischen-hinterfragenden und einen konstruktiven Flügel. Der kritische Flügel steht dem heutigen System skeptisch gegenüber und hinterfragt die aktuelle Entwicklung. Hier sollte der emotionale Aspekt unserer Partei – die Protestbewegung – abgebildet werden. Der Konstruktiv-Flügel stellt den sachlichen Aspekt dar: das aktuelle System soll durch kontinuierliche und strategische Arbeit verbessert werden und neue Wählergruppen erschließen. Was ich damit meine, lässt sich am Besten an den beiden Betriebssystemen Android und iOS verbildlichen: Apples iOS steht für Entwicklung in die Höhe, der Jagd nach dem Neuen und den Hype – für ein eingeschränktes, aber perfektes Produkt. Android hingegen ist eine Entwicklung in eine andere Achse – in die Breite. Es geht darum, möglichst auf vielen unterschiedlichen Geräten das gleiche System zu haben und somit vielen Menschen die Teilhabe zu ermöglichen. Durch diese Vielfalt erreicht es aber keine Perfektion und nur selten Hype.
Egal wie wir nun Flügel bilden, mir ist wichtig, dass wir es tun. Unser Ziel muss eine auf Nachhaltigkeit, Stabilität und Dauerhaftigkeit angelegte Partei sein. Der Hype ist vorbei, jetzt beginnt das mühsame, normale politische Geschäft. Wie ich anfangs erklärte, haben wir gute Chancen – nutzen wir sie!
Kommentare
7 Kommentare zu Wir brauchen Flügel – um zu fliegen!
Flügelbildung – keine schlechte Idee. Warum eigentlichn nur 2 Flügel – das nenne ich Beschränkung. Wir haben in unserem Programm so viele Themen und wir haben für jedes Thema mindestens eine AG. Laß uns doch in den AGs arbeiten, Meinungen herausarbeiten und sie bei einem LPT oder BPT vortragen. Besser wäre noch, wenn die AGs Kontakt zu den dazu passenden NGOs aufnehmen (CCC, Attac, Humans Rights Watch, Amnesty Internationel…). Sie können dann von deren Erfahrungen und Erkenntnissen lernen und deren Probleme in unsere Partei einbringen und wir können als politische Partei für die Anliegen der NGOs Politik machen. Das ist mal so eine Idee in den Ring geworfen.
Ob es nun 2 oder mehr Flügel werden, wird die Zeit zeigen – Hauptsache es gibt überhaupt richtige Flügel, sie halten sich an die Grundwerte und es entsteht zwischen ihnen eine saubere Balance. Zwei Flügel sind einfacher auszubalanzieren. Liebe Grüße Thomas
“Trennung in einen kritischen-hinterfragenden und einen konstruktiven Flügel”, ich weiß ja nicht. Das klingt, sorry, wie Meckerer und Macher. Ich weiß, dass Du das nicht so meinst, aber kritisch hinterfragen und konstruktiv widersprechen sich doch nicht, da spreche ich als Ingenieur :-).
Sehr schöner Text, dessen Aussagen ich in großen Teilen zustimme. Kleine Anmerkungen habe ich aber doch.
Wie bereits der Schreiber im vorherigen Kommentar, bin aber auch ich der Meinung, dass es vorteilhaft wäre, wenn sich mehrere innerparteiliche Interessengruppen fester strukturieren und diese dann auch als Gesprächspartner auf Augenhöhe gesehen werden. Wie die Interessengruppen sich aber jeweils finden und worüber sie sich definieren, sollte aber tunlichst ihnen selbst überlassen bleiben.
Der ‘Transparenzanspruch der Piratenpartei’ ist ein Mythos. Nirgendwo definiert und in der Vergangenheit oft nur ins Feld geführt, um andere Meinungen zu diskreditieren. Wie die Interessengruppen in sich arbeiten und wie und ob sie dies der (innerparteilichen) Öffentlichkeit vermitteln, muss zwingend ihnen selbst überlassen sein. Ansonsten haben wir einen Anzug von der Stange, der niemandem passt und an vielen Stellen zwickt und zwackt.
Ein weiterer Punkt: Zur Zeit der Gründung des Kollegiums hätte ein hürdenfreier Zugang eben diese Gründung unmöglich gemacht. Dass die Notwendigkeit da war, wird mittlerweile – wie wir allerorten sehen – nicht mehr oft bestritten. Wiederum etwas seiner Zeit voraus, sehe ich das Kollegium immer noch am Anfang, aber keinesfalls als gescheitert an. Ähnlich wie auch bei Peira oder nun den Foyerbesuchern und letztendlich auch bei der Piratenpartei selbst, müssen sich $Dinge finden und einspielen. Der Mitgliederzustrom beim Kollegium, insbesondere dieses Wochenendes, lässt ein Scheitern nicht erkennen.
Wie soll es den zukünftig aussehen? Neben direkten Gesprächen zwischen dialogbereiten Teilnehmern der einzelnen Gruppen, wird imho zukünftig aber ein Konzept vonnöten sein, das darlegt wie dieser Meinungsaustausch vonstatten gehen soll. Dies auch, um nicht Bundesparteitage mit endlosen, nicht zielführenden Debatten zu lähmen. Eine neue Herausforderung an die aktiven Piraten!
Beste Grüße
Mario Tants Sprecher im Frankfurter Kollegium e.V.
Ich mach jetzt demnächst auch einen Flügel auf. Aber ich muss euch warnen, ist ne ziemlich verrückte Idee. Wir setzen uns nämlich dort alle zusammen für Privatsphäre, Datenschutz, OpenAccess, Transparenz sowie für Menschenrechte ein. Und jetzt wirds richtig crazy, aufgepasst: Wir wollen in diesem Flügel miteinander reden und gemeinsame Lösungen erarbeiten mit denen dann der Großteil zufrieden ist! Ich weiss schon, die Idee ist echt ziemlich verrückt, sich da einfach an gemeinsamen Wertvorstellungen zu orientieren um seine Kräfte zu bündeln. Auf so nen Scheiss muss man erst mal kommen, nicht wahr? Mir fehlt halt noch ein griffiger Name für das Ganze.. Zuerst dachte ich an “Kindergartengruppe”, aber der Name ist sicher schon belegt. Aber PIRATEN derzeit frei, oder?
Schau mal auf heise.de. Der Oliver Diedrich berichtet da von einer Neugründung. Das klingt gut, das könnte was werden. Wenn diese Sachen konsequent angegengen werden und nicht zu viele Spinner das als Comedy-Plattform missbrauchen sieht es nach einer grossen Sache aus!
Flügel um zu fliegen, ein hübsches Bild! Nur, wollen wir Wahlen gewinnen oder zu einem elitären Debattierklub degenerieren? Nichts gegen Visionen, in der Politik aber zählen nun einmal Fakten und ein gesunder Sinn für Realitäten. Schmerzliches Faktum ist aber, dass uns nur das Bundesverfassungsgericht bei der letzten Wahl vor einem Absturz in die Bedeutungslosigkeit bewahrt hat, indem es für die Europa- und Kommunalwahlen die 5-%-Hürde gekippt hat. Flügel lassen sich nicht generieren; sie entstehen in einem natürlichen Selektionsprozess.
Für die Öffentlichkeit, ohne Rücksicht auf deren Befindlichkeiten man eben keine Wahl gewinnen kann, stehen wir aber leider nicht als der kühne Vogel dar, der mit dem Ziel des mündigen, nicht bevormundeten Bürgers, durch die Stürme kleinlicher Interessengruppen seinen Weg am Politikhimmel sucht und findet, sondern als ein Polykopter mit viel zu vielen Flügeln, die am Boden munter mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und gegenläufig rotieren. Solch ein Gefährt wird niemals abheben.
Was nottut, ist eben nicht die Ausbildung von Flügeln, die führen nur zu einer wenig förderlichen Polarisation, sondern eine schmerzliche Aufarbeitung der Fehler, die aus einer 15-%-Partei, wieder eine mit schlappen 2-3 % gemacht hat. Falls das schon jemand aufgefallen ist, wir sind nämlich wieder da, wo wie vor 2010 gestartet sind. Speziell für Thomas Küppers ein Bild aus der Chemie. Ein Salz mit starken interionischen Kräften ist wenig wasserlöslich und wird von außen nicht mehr als Salz wahrgenommen. Genau das ist unser Problem!
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