Gerüchteküche
“Diese blöden Mandatsträger. Die tragen ihre Badges doch nur, weil sie sich für etwas Besonderes halten”, höre ich im Gang beim #bpt141. Damit meint die Sprecherin die großen bunten Ausweise, die Helfer, Presse und eben auch Mandatsträger (z. B. Mitglieder verschiedener Landtage) um den Hals tragen. Pressevertreter bekommen durch ihren Badge Zutritt zum Pressebereich. Helfer können damit zum Beispiel Technikräume betreten. Und die Mandatsträger? Gibt es einen Mandatsträgerraum, für den man speziellen Zutritt braucht? Ist das reine Wertschätzung durch die Parteitagsorganisatoren? Das ist schwer vorstellbar in unserer basisliebenden Partei. Warum dann also?
Im Laufe des Tages erwähne ich diese Fragen gelegentlich. In ironischem Ton bekomme ich mehrfach zu hören “Aus Sicherheitsgründen natürlich!” Letztendlich suche ich mir Mitglied des Berliner Landtags und frage direkt. Simon Weiß vom AGH Berlin stellt fest: “Ich glaube, die sind nur für den Presseraum. (Pause). Irgendwer hat mal über den Staatsschutz gewitzelt. Aber ich bin nicht sicher, wie ernst ich das nehmen kann.” Staatsschutz? Gibt es den wirklich? Kann da was dran sein?
Weitere Nachfragen ergeben, dass das mit den Badges für Mandatsträgern wohl erst seit dem Bremer BPT im November 2013 so ist. Ich komme der Sache näher.
Die Erklärung
Der Teamleiter der Sicherheit, während eines Parteitags nicht immer leicht für ein Interview verfügbar, hat endlich eine Erklärung, die im Oktober 2013 ihren Anfang hat. Da drohte nämlich @netreaper per Tweet die Anwendung von Gewalt für den BPT in Bremen an. Das war “zwar nur ein Tweet”. Aber eine Recherche der Organisatoren im StGB ergab, dass ein Veranstalter für Straftaten mitverantwortlich ist, wenn er sich im Vorfeld über Drohungen bewusst ist und diese nicht zur Polizei kommuniziert. Folglich musste die Drohung ernst genommen und an die Polizei übermittelt werden. Zusätzlich wurde ein Hausverbot für @netreaper ausgesprochen. Soweit war das Problem von Piratenseite gelöst. Allerdings wurde dann wohl durch diese Meldung – aufgrund der möglicherweise hohen Anzahl von anwesenden Mandatsträgern – die Polizei, möglicherweise eben auch der Staatsschutz, wach.
Als Konsequenz kündigte die Polizei prompt das Anrücken einer großen Mannschaft, sowohl uniformiert als auch zivil gekleidet, zum Parteitag an. Da solche Einsätze auf einem Piratenparteitag wirklich nicht willkommen sind, bemühte sich nun die Veranstaltungsleitung, diese offene und verdeckte Polizeipräsenz zu verhindern. Durch das Kommunizieren unseres guten selbst organisierten Sicherheitskonzepts durch Freiwillige konnte die Polizei beschwichtigt werden. Es gab allerdings ein paar kleine Auflagen. Sofern sich die Mitglieder des Sicherheitsteams deutlich über “Security”-Westen und Mandatsträger durch Badges erkennbar machten, würde die Polizei nicht anrücken. Aha! Unsere Mandatsträger werden also in der Tat von der Polizei speziell im Auge behalten. Sie werden nicht durchgehend beschattet, aber sollten sich gelegentlich viele Mandatsträger auf der selben Veranstaltung aufhalten, so sind sie aufgefordert, sich in großen Menschenmengen klar erkenntlich zu machen. Durch die Verteilung der Badges kam unsere Veranstaltungsleitung dem Wunsch des Staatsschutzes ausreichend entgegen, deswegen wurde von der Anwesenheit von Uniformierten abgesehen. Stattdessen kam ein einzelner Hauptkommissar für eine halbe Stunde vorbei, um sich ein Bild der Lage zu machen.
Merken wir uns also: Wir sind nun mit unserer Partei in Sphären aufgestiegen, in denen tatsächlich der Staatsschutz ein Auge auf (manche von) uns geworfen hat. Es bleibt zu hoffen, dass er das transparent und nur zu unserem Schutz tut.
UPDATE:
Zu einer Geschichte gehören meistens zwei Seiten, und in diesem Fall hat @netreaper seine Sichtweise in einem Blogpost verfasst. Eine direkte Androhung von Gewalt gab es laut seiner Aussage nicht, er reagierte mit seinen Tweets auf Morddrohungen, die er selbst via Twitter von einem anderen Mitglied der Piratenpartei erhalten hat. Die originalen Tweets scheinen mittlerweile offline, laut popcornpiraten.de lauteten sie folgendermaßen:
@Kyra2001@gaejawen Ne Schusswaffe werde ich beim nächsten BPT auf jeden Fall brauchen. Zur Selbstverteidigung. Nach den Morddrohungen…
@Kyra2001 @gaejawen Ich weiß gar nicht, wie ich verhindern soll bei einem BPT Leute umzunieten. Es reicht einfach.
Zwar waren dies die Tweets, die die oben genannten Sicherheitsvorkehrungen zufolge hatten. Doch ob die Reaktion gerechtfertigt war und @netreaper an dieser Stelle ungerecht behandelt wurde, ist nicht eindeutig geklärt. Die Flaschenpost möchte sich deswegen an dieser Stelle für etwaige Unklarheiten im Artikel entschuldigen.
About Hauke Holtkamp
Hauke ist größtenteils für Übersetzungen und internationale Themen zuständig.
Kommentare
12 Kommentare zu Mandatsträger müssen erkennbar sein
Schöner Bericht, der HK hat mich in Bremen als erstes angesprochen, weil ich gerade im Eingangsbereich stand.
Aber mal ne Frage: Müsste es nicht “erkennbar” heißen? Erkenntlich zeigt man sich doch, wenn man sich für etwas bedankt. Oder ist das ein beabsichtigtes Wortspiel, nach dem Motto “Danke, Polizeit”?
Danke für die Aufklärung!
Warum es die Badges gab hatte ich schon auf dem BPT gehört, und dennoch, auch wenn ich es nochmal lese bleibt bei mir das ungute Gefühl, dass Menschen in diesem Lande gleich und gleicher sind. Was wäre geschehen, wenn irgendein Mensch $Dinge getan hätte? Wären die Mandatsträger vom Staatsschutz/ der Polizei bevorzugt gerettet worden? Ich finde den Gedanken irgendwie gruselig.
Insofern: Danke für den Artikel, keinem Piraten ist ein Vorwurf zu machen, aber es bereitet mir so als einfachen Bürger latentes Bauchweh, das ganze weiter zu denken.
Danke für die Aufklärung. Nicht mal mir als Mandatsträger wurde genau erklärt, warum ich das Ding tragen sollte…
Michele
Danke für die erklärenden Worte. @netreaper mag der letzte Tropfen gewesen sein, aber insgesamt zeigt die Aktion, dass die Piratenpartei langsam ernster genommen wird. Hoffen wir also, dass sich Polizei und Staatsschutz noch über viele Bundespiratentage Gedanken machen. Wenn dafür Mandatsträger “getaggt” werden müssen, dann ist das eben so.
Der geheimnisumwitterte Staatsschutz ist nichts weiter als eine Abteilung der Kripo, die immer dann zuständig ist, wenn Fälle mit politischem Zusammenhang auftreten. Das klingt zwar furchtbar bedeutend, ist es aber in der Regel nicht. Der einzige Unterschied zur “normalen” Kripo dürfte sein, dass – soweit ich das von Kollegen gehört habe – die Beamten beim Staatsschutz älter, konservativer und häufig weniger entspannt sind als es andere bei der Kripo sein können.
Danke hierfür!
@fraumaja
das geht mir hier auch so, und ich war beteiligt an dem ganzen. ich hoffe, wir finden für den nächsten #bpt142 eine bessere Regelung.
herzlich Thomas
Ohne Badge fühlte ich mich auf dem bpt14.1 nie als “Pirat 2.Klasse” , und jetzt, da ich die Hintergründe kenne, vielen Dank übrigens dafür, können wir ja dahingehende Gedanken getrost im Keim ersticken.
Es ist schon widerlich, dass Ihr Netreaper erwähnt, nicht aber dass widerrechtlich Hausverbote auf dem BPT erteilt wurden (die das BSG zurücknehmen musste und sicher auch in diesem Fall hätte müssen) und die ganze Geschichte mit einer Morddrohung von der ehemaligen Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundesvorstandes Anke Wernicke begann, um die sich der Bundesvorstand gar nicht gekümmert hat.
Moin, dieser Aspekt war uns nicht bekannt. Der Artikel ist inzwischen mit einem Update versehen der auch diesen Aspekt beschreibt.
Danke für den Artikel, einigen wurde ja genau diese Begründung bei Nachfrage schon genannt.
Aber sind wir nicht die Partei mit der Transparenz ? Warum also hat man nicht diese “Vorgaben” der Polizei (Staatschutz ist nur eine Unterabteilung) in einem Schreiben öffentlich gemacht ? Damit wären die Vermutungen und Gerüchte bis hin zu den “ich fühle mich als zweiter Klasse” Äußerungen im Keim erstickt worden. Ich denke auch eine nachträgliche Veröffentlichung dieser Anordnung könnte hier für Beruhigung sorgen.
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