
Aufstellungsversammlung und Bundesparteitag – im Anzug und im Morgenmantel | CC BY 3.0 Michael Renner
Die Europawahl war mit der Aufstellungsversammlung das beherrschende Thema beim BPT14.1 in Bochum. Die Halle war den meisten Piraten vertraut, fand doch der BPT12.2 schon dort statt – die Flaschenpost berichtete.
Aber die Zeiten ändern sich. Dieses Mal waren gut 700 Piraten akkreditiert, das Presseinteresse war deutlich kleiner als in den Zeiten, in denen wir bei Umfragen im zweistelligen Bereich lagen. Die wenigen anwesenden Journalisten wurden zu allem Unglück gleich am Anfang von einem anwesenden Piraten hart angegangen, während sie die Eröffnungsrede von Thorsten Wirth mitschreiben und fotografieren wollten. Die Reaktion war absehbar: Sie packten ihre Sachen zusammen und verließen mehrheitlich den Parteitag. Die Folge: Die Berichterstattung über den eigentlich erfolgreichen Parteitag fiel sehr dünn aus.
Einen kleinen Aufruhr löste eine Antifa-Fahne aus, die an die Balustrade zwischen Wahlplakate gehängt worden war. Zwar von der Versammlungsleitung genehmigt, entbrannte jedoch recht schnell ein Streit, vornehmlich über Twitter. Während dabei die eine Seite “Antifa” als Begriff der Bekämpfung von Faschismus betrachtet, befürchtete die andere Seite, in Verbindung mit radikalen Gruppen gebracht zu werden. Der nächste Parteitag verspricht nun, spannend zu werden – inzwischen wird bereits diskutiert, ob “Wombat”-Plakate uns zu sehr mit Kleintierzüchtervereinen in Verbindung bringen könnten…
Damit die zwei eigentlich getrennten, jedoch praktisch gleichzeitig stattfindenden Veranstaltungen – Aufstellungsversammlung und Parteitag – besser zu unterscheiden waren, gab es Stimmkarten und -blöcke in unterschiedlichen Farben. Damit auch den Versammlungsleitern anzusehen war, bei welchem Tagesordnungs-Punkt wir uns jeweils befinden, trugen sie während der Aufstellungsversammlung Abendkleidung, während des BPT Morgenmantel und Handtuch. Den meisten Raum nahm die Aufstellungsversammlung ein. Am ersten Tag reichte die Zeit zumindest für die Vorstellung aller Kandidaten, bei maximal 10 Minuten Zeit für jeden Kandidaten. Ob der Kandidat später befragt werden sollte oder nicht, wurde abgestimmt. Wobei das Ergebnis meist recht eindeutig war.
Die Vorstellungen waren teils interessant, teils hatten sie ihre Längen. Zehn Minuten können eben entweder viel zu schnell vorbei sein oder auch endlos erscheinen. Immerhin: Bei einer Kandidatenvorstellung verspürten viele Piraten Lust, sich die Beine zu vertreten und verließen die Halle.
Auch der Pirat, der die Presse vertrieben hatte, trat als Kandidat an. Er nutzte seine 10 Minuten Redezeit hauptsächlich dazu, über die vertriebenen Journalisten zu schimpfen, Zeit für die eigene Vorstellung blieb dabei kaum. Eine weitere Befragung dieses Kandidaten wurde dann allerdings mit 100% der lila Karten beantwortet – also abgelehnt!
Die Kandidatenbefragungen hatten – wie die Vorstellungen selbst – Höhen und Tiefen. Befragt wurden ohnehin nur Kandidaten, denen die Versammlung Chancen zur Wahl einräumte. Bei der Befragung waren es manchmal auch die Fragesteller, die ein peinliches Bild ablieferten. Für spontanes Gelächter sorgten Fragen, die in schlechtem Englisch gestellt wurden, von manchen Kandidaten hingegen in bestem Oxford-Englisch beantwortet wurden. Unterhaltsam war ein kurzer Dialog auf Mandarin – Piraten haben viele Fähigkeiten!
Für Unentschlossene half ein Kandidat-O-Mat bei der Wahl des richtigen Kandidaten. Es gab laut Zugriffsstatistik über 4000 Aufrufe der Entscheidungshilfe – das Interesse schien wohl groß zu sein.
Für die Wahlgänge standen rund 100 Wahlkabinen aus Pappe bereit. Sie wurden von der Stadt Bochum ausgeliehen. In jeder Kabine lag ein Stift, die Wahlurnen waren so positioniert, dass möglichst schnell abgestimmt werden konnte. So schoben sich in Reih’ und Glied, Schlangen von abstimmenden Piraten in das 1. Obergeschoss hoch, nahmen Platz und machten die Kreuze auf den Wahlzetteln. In dieser Zeit herrschte in der Halle geschäftige Betriebsamkeit.
Das Wahlverfahren versprach Spannung, denn durch den ersten Wahlgang kamen alle Kandidaten, die mehr als 50% der Stimmen auf sich vereinen konnten. Dies sagte aber noch nichts über die Reihenfolge aus, in der die Kandidaten auf dem Wahlzettel stehen werden. Aus Deutschland werden 96 Abgeordnete nach Brüssel und Strassbourg ziehen. Deswegen ist bei der Europawahl für jeden Abgeordneten gut 1% der Wählerstimmen notwendig. Wird also die 3%-Hürde nur knapp übersprungen, stellt die Piratenpartei 3 Abgeordnete. Sollte das Bundesverfassungsgericht die 3%-Hürde für nichtig erklären, würde schon etwas weniger als 1% der Wählerstimmen ausreichen, um die erstplatzierte Julia Reda ins Parlament zu bringen. Jedes weitere Prozent einen weiteren Kandidaten der 12-er Liste:
- Julia Reda
- Fotios Amanatides
- Anke Domscheit-Berg
- Bruno Kramm
- Anne Helm
- Gregory Engels
- Jens Peter Seipenbusch
- Gilles Bordelais
- Martina Pöser
- Patrick Schiffer
- Martin Kliehm
- Stevan Cirkovic
Zusammenfassend gesagt war es ein guter Parteitag. Produktiv und diszipliniert – für piratige Verhältnisse. Eine Partei unterhalb der 5%-Marke lockt keine Karrieristen an. Es kann eine Chance sein, unter der Wahrnehmungsgrenze in den Europawahlkampf zu starten.
About Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervor ging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites grosses Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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Kommentare
9 Kommentare zu Das war der bpt141 – Parteitag in Bochum
Wenn es denn nur die AFA Fahne gewesen wäre. Ich hoffe zu der AFA wird sich jetzt offiziell positioniert, dann weiss Jeder woran er ist. Viel schlimmer ist aber, dass daneben eine Anarcho Fahne hängt (und die Kombination aus Beidem).
Keine Ahnung warum sowohl VL als auch BuVo das Spiel mit macht – es wäre nicht nötig gewesen. Aber es ist nun mal ein deutliches Signal – und das herabzuspielen als “nur ‘ne Fahne es gibt schlimmeres” wird den Bedenken nicht gerecht. Ich jedenfalls will so nicht behandelt werden. Und dass Medienvertreter auch keine klaren Aussagen dazu erhalten macht es nicht besser. Zum Glück wollte uns bisher noch keiner (außer Don Alphonso) an das Bein urinieren.
Gruss Bernd
“Eine Partei unterhalb der 5%-Marke lockt keine Karrieristen an”. Nein, gewiss nicht. Aber deshalb sind sie ja nicht alle mit dem Gongschlag ausgetreten. Eine Partei die sich dem parlamentarischen System anvertraut, sich um Parlamentssitze bemüht ist natürlich auf Parteimitglieder die sich um eine Kandidatur bemühen angewiesen. Insofern ist mit den so üblichen Unterstellungen auch vorsichtig umzugehen. Allerdings war die Piratenpartei ausgelöst durch Meinungsumfragen nach der Berlin Wahl als ein besonderes Zielgebiet für “politisch Interessierte” ausgewiesen, das brachte eine Vielzahl von Problemen. Bei einer 3% Hürde für einen extrem hochbezahlten Job (keine Ohrfeige, ein permanenter Faustschlag für den Steuerzahler) existiert immer noch eine magische Anziehungskraft. Ich denke, es hätte hier mit einfachen Mitteln gegengesteuert werden können: Künftig würde ich anregen: Wer sich unmittelbar vor dem Parteitag zur Kandidatur anmeldet, sozusagen auf dem letzten Drücker und sich somit der Diskussion um seine Person und seiner Kandidatur im Vorfeld verschließt sollte nicht zugelassen werden. Hier sollten Fristen für die Anmeldung einer Kandidatur gelten. Das ewige so weit verbreitete”ich wurde zur Kandidatur gedrängt, wollte eigentlich gar nicht” bräuchte dann auch nicht mehr wiederholt zu werden. Ein anderer Gedanke könnte ein verstärkter Blick auf die Parteipräsenz möglicher Kandidaten sein. Es würde gut tun, wenn Piraten die sich lokal als Vorstände oder Basispiraten in den Gliederungen erfolgreich betätigen verstärkte Beachtung finden würden. Blitzkarrieren die “oben” einsetzen und nach “weiter oben” drängeln dienen nicht der Partei.
Hinsichtlich der Teilnehmerzahl auf Parteitagen ist zu bemerken, dass dieser Trend in der Abwärtsentwicklung natürlich auch bei Bundesparteitagen sich fortsetzt. Nur sollte auch klar gesagt werden, dass hier eher der intelligente und kreative Teil der Mitglieder fernbleibt. Das scheint mir das eigentliche Problem zu sein. Gleichzeitig haben alte Funktionsträger ein Beharrungsvermögen das geistige Beweglichkeit eher als Feinbild definiert. Ich finde, und dass ist mein dritter Denkanstoß, dass Funktionsträger die länger als zwei Jahre in ihren Funktionen tätig sind einfach mal abtauchen sollten. Das gilt natürlich nicht nur für Chefredakteure. Übrigens, eine ständig wiederholte photografische Selbstdarstellung ist schlicht ausgedrückt überflüssig.
BRAVO, ein wahrhaft galaktisches Foto: Man in Black neben Meister Yoda. Welche Botschaft wollt Ihr dem Wähler damit gleich überbringen???
Danke liebe Flaschenpost für diese Zusammenfassung
Moin Jessica,
Politik ist eine ernsthafte Sache. Es tut jedoch nicht Not zum Lachen in den Keller zu gehen. Ja, du siehst Man in Black und Meister Yoda – als Teils desTeams der Versammlungsleitung. Alles zusammen macht die Piratenpartei aus: die Ernsthaftigkeit der Sache, ein wenig Science-Fiction und auch das Gute im Menschen (oder Jedi) an das wir trotz allem glauben.
zum Kommentar von Hans Desz Wie die sinkende Teilnehmerzahl von BPTs mit dem “dritten Denkanstoß” ( 2-Jahres-Abtauchen von Funktionsträgern) zusammenhängt – erschließt sich mir nicht. Es geht m.E. um den leider viel zu wenig hinterfragten Begriff der “direkten Demokratie” versus der “deligierten Demokratie” . Ein einfaches Beispiel: So viel ich weiß legt der BuVo den nächsten Ort des BPT fest. o.k. – hier kann eine LQFB-Empfehlung zur Voraussetzung für den BuVo-Beschluss gemacht werden. Aber letztlich entscheidet dann die Wahl des BPT-Ortes weitgehend über die Abstimmungsergebnisse. Besonders am Sonntag Abend. Ich finde das nicht sehr demokratisch. Beim jetzigen Stand der Partei sollte mal über das Tabu-Thema BPT-Delegierte auf Landesebene gesprochen werden dürfen. Das ist nicht Politik 1.0 sondern 2.1
Wozu sich auf Parteitagen den Arsch platt sitzen, wenn online ALLE bei der Entscheidungsfindung dabei sein könnten! Probleme und die möglichen Lösungen auch mit Nicht-Piraten im Netz auf den Punkt bringen und dann das Volk online darüber abstimmen lassen. Parteitage verhindern doch nur Demokratie und festigen die Diktatur der Großmäuler und Selbstdarsteller! Lasst das politisch korrekte Piraten-Schiff endlich untergehen und steigt auf “Piraten24” um!
Die Idee, im Vorfeld in welcher Form auch immer, Kandidaten “vorzusortieren”, wurde breit diskutiert. Allerdings kam man schnell zu der Überzeugung, dass es aus rechtlichen Gründen nicht möglich ist, Spontankandidaturen zu beschränken. Somit hätten auch Vorwahlen außer einer zusätzlichen Aufwand keinen Sinn gehabt.
Danke erstmal für den Bericht vom BPT141 in Bochum. Ich bin leider aus Zeitlichen und Organisatorischen Gründen dem Parteitag fern geblieben. Das mit dem unterschiedlichen bekleiden(verkleiden) der Versammlungsleitung, schuldigung erinnert mich eher an den Kindergarten in welchen meine beiden jüngsten gehen und gehört nicht auf einen Parteitag bei dem man Kandidaten zu einer Europawahl aufstellt, wir wollen doch ernst genommen werden und nicht da stehen als ein Haufen von Klassenclowns. Das mit der Fahne von der Antifa hätte auch nicht sein müssen, wir sind die Piratenpartei und nicht Antifa oder ein anderer Verein der überall demonstrieren muss das er einige Gedanken von anderen Organsationen gut findet. Wir haben selbst ein Profil und das reicht aus wenn wir dieses mehr positiv Präsent machen. Das Problem mit den Kandidaten auf dem letzten Drücker müssen wir irgendwie in den Griff bekommen und das auch rechtlich. Es kann nicht sein das einige Spaßvögel meinen sich im letzten Moment als Kandidat aufstellen lassen zu müssen, vielleicht geht es ja mit einer höheren Anzahl von Unterstützungunterschriften die ein Kandidat zu erbringen hat. Zu guter letzt möchte ich mich zu den Vorstandsämtern mal äußern. Alle die diesen Posten mal inne hatten oder noch haben bekommen von mir hohe Anerkennung, es ist nicht immer ein Zuckerschlecken einen solchen Posten inne zu haben. Wir müssen aber, so glaube ich und ich meine noch viele andere, diese Posten ausdauernder besetzen und auch Finanziell entschädigen. Es kann nicht sein das der Vorstand wenn er sich so richtig eingearbeitet hat auch schon wieder daran denken muß aufzuhören und Vorbereitungen zu schaffen für die Übergabe an den neuen. Die Posten müssen auf Dauer länger besetzt sein, es gibt genug Möglichkeiten einen Vorstand den man nicht mehr Vertrauen kann neu zu besetzen, auch jetzt schon. Wir müssen also das Rad nicht gleich zweimal neu erfinden, lasst uns lieber mal richtig was erarbeiten und Antworten zu wichtigen Themen finden und nicht zu Spaßthemen. Wir wollen Politik für uns alle machen und nicht zu einer Truppe von drittklassigen Komediens mutieren.
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