Das Jahr 2013, das wir bald hinter uns lassen, war, wie auch die Jahre zuvor, ein sehr spannendes Jahr. Es war aber leider auch ein Jahr, in dem viel Frusttoleranz von uns abverlangt wurde. Wir starteten im Januar mit 3% in den Umfragen, um bei der Bundestagswahl mit 2,2% eine Bauchlandung hinzulegen. Ähnlich schlecht lief es bei den Landtagswahlen in Niedersachsen, Bayern und Hessen. In keinem dieser Länder kamen wir auch nur näherungsweise an die 5%. Schlimmer noch als die verlorenen Wahlen scheint der Bedeutungsverlust in der öffentlichen Wahrnehmung, denn kaum war die Bundestagswahl vergeigt, verschwanden die “Piraten”, um sich bei den “Sonstigen” wiederzufinden. Immerhin: In Bayern gelang der Sprung in einige Bezirksparlamente – das ist schon ein großer Erfolg für solch ein trübes Jahr!
Wir mussten erleben, die das erfolgreich bekämpfte ACTA in Form des Transatlantischen Freihandelsabkommens (TAFTA) wieder aufersteht – schlimmer noch als das verhinderte Vorhaben zuvor. Wir sahen Projekte kommen (pirat.ly) und gehen (Pirate Arguments und Wikiarguments) und so manches neues Gesetz kommentierten wir mit Zähneknirschen. Das rückwärts gewandte Leistungsschutzrecht des Jahres 2013 gibt jedoch nur einen Vorgeschmack auf das, was uns das Jahr 2014 mit der großen Koalition an Schrecken bringen wird.
Immerhin waren andere Piratenparteien erfolgreich. In Island beispielsweise und Kroatien. Und die Piratenpartei in Polen besteht nun offiziell. Und überhaupt: Europa! Die Gründung der Europäischen Piratenpartei (PPEU) nahm 2013 weitere Hürden. Das hat bisher keine Partei vor unserer geschafft: eine Partei auf europäischer Ebene zu gründen.
Doch während wir über ständige Mitgliederversammlungen, das BGE und Quote stritten, brach ein Thema wie ein Orkan über uns herein und spülte uns faktisch von der politischen Bühne: PRISM. Denn mit den Leaks von Edward Snowden wurde das, wovor wir in der Zukunft warnten, als Realität schon heute bestätigt: Umfassende elektronische Überwachung aller Lebensbereiche. Schade, dass unsere Expertise zu diesem Zeitpunkt nicht gefragt war. Waren wir bis “vor Snowden” der einsame Rufer in der Wüste, wurden wir “nach Snowden” weitestgehend ignoriert.
Daran konnten auch die vielen Cryptoparties nichts ändern; auch die Demonstrationen gegen die Überwachung waren nur mäßig besucht. Welch ein Unterschied zu 1984, als Millionen von Deutsche auf die Strasse gingen, weil bei einer Volkszählung nach der Größe der Wohnung gefragt wurde. Selbst das Bundesverfassungsgericht urteilte damals: So nicht! Anders 2013: Jede E-Mail wird kopiert, jeder Standort protokolliert. Widerstand regt sich, jedoch leider viel zu wenig.
Die Anzahl der Mitglieder sank leicht von 33.000 auf 30.000. Im Vergleich mit dem Absturz zu den Umfrageergebnissen ist das mehr als moderat. Ebenso moderat sanken die Zugriffszahlen der Flaschenpost.
Das Jahr 2014 könnte eine Wende bringen – oder ein langes Jammertal. In Deutschland stehen viele Kommunalwahlen an. Dazu kommt die Europawahl im Mai. Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Aber gerade hier ist es so, dass wir das Ergebnis, ja die Zukunft, mitbestimmen können. Wenn wir das richtig angehen, kann der Jahresrückblick in einem Jahr mit den Worten beginnen: “2014 war das Jahr, in dem wir wieder Fahrt aufnahmen.”
In diesem Sinn allen Lesern ein schönes neues Jahr.
About Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervor ging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites grosses Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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Kommentare
Ein Kommentar zu 2013 – der Jahresrückblick
“Vorher der einsame Rufer, danach weitgehend ignoriert.”
Ehrlich gesagt: da fehlte Selbstbewußtsein. Klar ist man “vorher” der einsame Rufer. Verschwörungstheoretiker, Spinner, was war man nicht alles, wenn man behauptete, der Staat
würde alles überwachen. Und das geht schon seit Echelon so.
Und danach? Merkel empörte sich öffentlich, weil IHR Handy abgehört wurde und sämtliche Parteien spielten das große “mit uns nicht!”
Kasperletheater. Und die Piraten? Ließen sich von Feministinninninnen am Nasenring durch die Manege ziehen, stritten über Geschlechterquoten und um Pöstchen, die es
noch gar nicht gab. Klar wurde das weitgehend ignoriert – es gab ja mit PRISM und Co weit wichtigeres!
Da fehlte ein selbstbewusstes Auftreten. Ein fröhliches “Danke, CDU, dass ihr mit 4 Jahren Verspätung einseht, dass wir Recht hatten
und dass ihr uns zustimmt!”
Hase und Igel – “Ich bin schon da!”
Wenn die Piraten weiterhin so zerstritten auftreten, werden sie 2014 verschwinden. Endgültig. Denn wichtig ist die Außenwirkung. In Umfragen hatten die Piraten teilweise bis zu 20% erreicht. Dass diese 20% aber nicht bei den
anderen Parteien fehlten zeigt eines: es waren vor allem NICHTWÄHLER, die die Piraten wählen wollten. Die Ziele der PArteien boten
einen Lichtblick. Hoffnung, dass sich endlich jemand für das Richtige einsetzt. Transparenz, soziale Gerechtigkeit und eine neue, ehrliche Politik. Doch als sich die Piraten zerstritten und nur noch lächerliche Kleinkriege und Feminismus das Bild rägten, wandten sich die Wähler ab.
Sie verloren diese Hoffnung und wurden wieder das, was sie vorher waren: Nichtwähler.
Die Piraten können nur wieder Erfolg haben, wenn sie sich auf ihre Wurzeln und die ursprünglichen Ziele besinnen: postgender, offen,
transparent. Und von mir aus auch ein Stück links. Wenn sie die Wähler – und ganz besonders die Nichtwähler – abholen und ihnen
zeigen, dass es möglich ist, eine gerechtere Politik zu machen. Parteien, die streiten und leere Versprechungen machen, gibt es mehr als genug.
Die Piraten sind unwichtig, bedeutungslos und werden nicht mehr ernst genommen. Was ist man bereit zu riskieren, wenn man nichts mehr zu verlieren hat?
Warum werden Mitglieder, die sich engagieren wollen, ausgegrenzt, nur weil sie aus Berlin kommen? Warum werden Mitglieder ausgegrenzt, nur weil sie Männer sind? Warum werden Mitglieder überhaupt ausgegrenzt, egal aus welchem Grund? Wer sich engagieren will – und das in die Richtung der Grundsatzthemen – sollte und muss willkommen sein. Es darf nur einen Grund geben jemandem zu sagen, er ist bei den Piraten falsch: wenn er Themen vertritt, die die Partei von ihrem
gewählten Weg abbringen und in eine andere Richtung lenken. Denn solche Richtungsentscheidungen müssen basisdemokratisch beschlossen werden.
PRISM, Tempora, Snowden, Polizeigewalt, Überwachung, von mir aus auch Pofalla, der sich von der DB kaufen ließ – es gibt dutzende
Themen die wichtiger sind als die Frage, wie man “Salzstreuer” richtig gendert!
Die Piraten haben zwei Möglichkeiten: entweder sie beweisen, dass sie wichig sind und die richtige Partei, um diese großen Probleme
anzugehen, oder aber sie streiten weiter, machen sich lächerlich und gehen unter.
Im Jahr 2013 haben die Piratn viele gute Menschen verloren, die ausgetreten sind, sich zurück zogen, einfach erschöpft udn ausgebrannt
waren oder vergrault wurden. DAS muss gestoppt werden. Denn mit Krawall und Genderfaschismus kann man keine Politik machen. Dafür
braucht man offene, engagierte und vor allem besonnene Köpfe. Köpfe. Das Geschlecht ist egal.
“Themen statt Köpfe” ist in meinen Augen auch ein Fehler gewesen – denn ein Blatt Papier mit einem Thema drauf ist bei weitem nicht so
aussagekräftig wie ein intelligenter Kopf, der das Thema vertritt, es erklärt und für Fragen offen steht. Jeden absägen, der ein Thema vertreten kann, kostet die Piraten nur diese Köpfe – und zurück bleiben Themen, die herum liegen, weil
sich niemand mehr darum kümmert.
in diesem Sinne lg Dirk
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