Eine Streitschrift von Maurice Dubois unter Mitarbeit von Michael Renner.
Die Hinfahrt
Ich nutze die Mitfahrzentrale und treffe einen netten tschechischen Studenten, Michal, der in Aachen Maschinenbau studiert und gleichzeitig Waldarbeiter ist. Eine sinnvolle Kombination, denn sie erlaubt dem überstrapazierten Intellektuellenhirn eine gute Sauerstoffversorgung. Mit seinem alten Škoda fahren wir gemütlich mit Tempo 120 Richtung Frankfurt. Der Himmel ist wolkenverhangen – es ist schwül. Auf dem Weg haben wir Zeit zu diskutieren. Wir stellen fest, dass das gewesene sozialistische und das kapitalistische System nicht so weit auseinander liegen wie man denken möchte: beide sind vom Materialismus der Modernen geprägt. Das Glück des Menschen liegt für viele Zeitgenossen im endlosen Konsumieren von materiellen Gütern und nicht im Erstreben nach Kultur oder Weisheit. Während aber vor 70 Jahren in Europa die Bevölkerungsmehrheit noch mit materiellen Gütern unterversorgt war, ist dies heute nicht mehr der Fall. Trotzdem gelten noch die gleichen Paradigmen. Jedenfalls wird in beiden Systemen der transzendente Charakter des Menschen negiert, auch wenn die „C“DU in Deutschland so tut als ob: in ihrer Politik der Geldvergötterung schlägt sich ihr vorgegebenes Christentum kaum nieder. In meiner Wahlheimat Böhmen gibt es kaum Katholiken, deshalb auch keine nennenswerte „christliche“ Politik.
Brumm, brumm , brumm: trotz Verbrennungsmotor eine schöne entspannte Fahrt, die nicht nur neue Sichtweisen erbracht hat, sondern auch die Bekanntschaft mit Michal.

Das Hundertwasserhaus: eines der wenigen Projekte, die die dumpfe Monotonie der modernen Autostadt versucht mit Phantasie zu überwinden | CC BY Maurice Dubois
Darmstadt und der Vortrag
Ich komme in Darmstadt an und nutze die 4 Stunden bis zum Vortrag zum Schlendern durch die Innenstadt.
Ich bemerke eine große Armut an Kunst im öffentlichen Raum. Eine Kunst, die es in Prag reichlich gibt: jedes Haus, jeder öffentliche Platz erzählt die Geschichte und Glaubensbekenntnisse seiner Bewohner durch seine Kunstwerke: Plastiken, Reliefs, Fresken.
In Darmstadt sehe ich überall „Funktionalismus“ und „Sachlichkeit“. Tote Wände, neu weiß angemalt gähnen dich an – und du gähnst zurück vor all dieser Reizlosigkeit. Monotonie gibt es bei uns auch, aber nur in den sozialistischen Trabantenstädten.
Darmstadt, wie alle zerbombten deutschen Städte, wurde nach dem Krieg aufgebaut, nach den Lieblingsmotiven der modernen Materialisten: Sonne, Licht, Belüftung, freie Bewegungsmöglichkeiten und Mobilität sollten ein glückliches Leben garantieren. Wieder ein Beweis, wie nah sich Sozialismus und Kapitalismus stehen.
Die Einsicht, dass es zum Wohlfühlen in einer Stadt auch Kunst braucht, scheint den heutigen Baumeistern zu fehlen. „Kunst“ ist in den 50er Jahren abstrakt und später, wenn sie figürlich ist, geht es selten um die Identität der Bewohner und ihre Geschichte. Kunst der Nachkriegszeit vermag deshalb kaum Empathie aufzubauen. Sie ist zu einer Option der Gesellschaft degradiert worden.
Das aber entspricht nicht der europäischen Geschichte, deren Kultur die kunstvolle Produktion von Bildern als notwendige Wirtschaftsaktivität verstand. Ihr Zweck war nicht schöngeistiger Kunstgenuss, sondern Bildung von Identität und Gruppenzusammenhalt. Die europäische Kunst ist soziale Kunst und damit notwendiger Teil von Wirtschaft und Gesellschaft.
Womit wir bei meinem Vortrag angekommen sind. In der Piratenzentrale sitzen ca. 15 Menschen, die etwas über Kultur und Kunst hören wollen. Jeder bringt seine eigenen Vorstellungen mit.
Ich versuche, Kunst anhand vieler Beispiele als notwendigen Teil des Wirtschaftens und der europäischen Geschichte darzustellen.
Es ist paradox, dass in Zeiten weit größerer Armut mehr in Kunstwerke „investiert“ wurde als heute. Dies ist eine Frage der Kultur: alle Lebensenergie unserer neoliberalen Gesellschaft fließt in die Mobilität („Auto“), in die Forschung nach Mitteln, um den Konsum-Produktionskreislauf noch schneller zu machen oder in zweifelhafte Vergnügen wie z. B. sich durch den Industrietourismus zum Bräunen in der Welt herumzuführen zu lassen. Die Marxisten meinten, das sei wegen des Verzinsungszwangs des Kapitals. Das mag sein, aber darüber hinaus ist es überwiegend eine Frage der kulturellen Paradigmen auch des Einzelnen. Heute lässt sich Kapital immer schwerer verzinsen, Geld wird durch die gigantische Geldschöpfung der Zentralbanken immer wertloser. Schon hören die ersten Reichen in China auf, Cartier-Uhren zu kaufen. 5 Ferraris haben sie schon. Die Märkte sind mit materiellem Trödel überfüllt, eine Saturierung der Märkte insbesondere in den „reichen“ Ländern Europas ist eingetreten. Was es dafür immer weniger gibt ist: Natur, Zeit und Kunst.

Darmstadt Heaghallen. Ein Projekt, das vor 30 Jahren mit viel Geld von der Stadt als innerstädtisches Einkaufszentrum durchgeführt und dann mit Verlust an Privatinvestoren verkauft wurde. Heute eine Einöde in der Innenstadt – nicht mal der Kommerz funktioniert noch im neoliberalen Missregime … | CC BY Maurice Dubois
Es stellt sich damit die Frage: Was sollen de Menschen in solchen saturierten Volkswirtschaften arbeiten, womit sollen sie ihre Zeit rumkriegen? Die ärmste Kirchengemeinde des Mittelalters hatte Gelder zum Bemalen ihrer Kirchenwände aufgebracht. Mit der Übernahme des Glaubens an „den Markt“ in alle Lebensbereiche wird jedes Darstellen „unsachlich“, „unfunktional“ und damit unnütz. Genauso sehen unsere modernen Städte aus: nicht gewachsen, nicht als Spiegel überschaubarer Communities gebaut, sondern maschinell produziert durch die kommunistische Plattenbauindustrie oder neoliberale Immobilienblasen. Das Resultat ist gleich und die Sache ist nicht ganz neu.
Ezra Pound schrieb sinngemäß in seinen Usura Cantos (ca. 1930):
Miti Usura hat keiner ein Haus von gutem Stein Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht… Mit Usura Hat keiner ein Paradies auf seine Kirchenwand gemalt. …Pietro Lombardo kam nicht aus Usuras Kraft, Duccio nicht kraft Usura
… with usura No picture is made to endure nor to live with But it is made to sell and this quickly…
(Nicht um zu dauern und dich in deinem Leben zu begleiten Sondern um verkauft zu werden und dies schnell …)
Zirkulieren, nicht wohnen! Vergrößert vielleicht den Profit, ist aber längst zu einem selbstlaufenden kulturellen Faktor geworden.
Angesichts der usurarischen Globalisierung muss man jedoch 80 Jahre nach Ezra Pound zur Erkenntnis kommen: Ende der Fahnenstange! Das Exportmodell Deutschlands wird sich nicht aufrecht erhalten lassen. Die teuren Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst werden sich nicht aufrecht erhalten lassen, da andere Länder Bürger, oft wie Bittsteller behandelt, billiger verwalten können.
Große Teile des Warensortiments werden nur noch als Symbole des Materialismus gekauft oder obsolet. Geld wird gehortet von „den Reichen“. Mobilität und Verwaltungsarbeit sind überwiegend Arbeitssimulation: sie blähen das Bruttosozialprodukt auf, sind aber oft nur Arbeitssimulation statt echte Wertschöpfung. Kann man einen fehlerhaften Amtsbescheid essen?
Die Natur wird in dieser Betrachtung der politischen Ökonomie beiseite gelassen. Sie ist aber da und dies zweifach: sie liefert –noch- die Ressourcen für den Überkonsum und sie reagiert schon jetzt mit sogenannten Naturkatastrophen und Klimaveränderung auf die enormen Eingriffe der modernen Gesellschaft gegen sie. Deshalb gilt es, andere Paradigmen für eine anti-moderne, anti-materialistische Gesellschaft aufzustellen.
Paradigmen für eine Kulturgesellschaft.
Mit den heutigen IT-Möglichkeiten kann jeder Termin per Videokonferenz abgehalten, jeder Vertrag per E-Mail verschickt werden. Diese enorme Möglichkeit der „Entmaterialisierung“ von Produktions-Konsumtionsprozessen wird heute noch nicht erkannt oder besser, noch nicht gelebt. Mit Ausnahmen. Wir haben 1995 mit der IHK Darmstadt einen europäischen Wettbewerb für ökologische Bürogebäude ausgeschrieben. Den ersten Preis vergaben wir an ein Projekt, welches einen Teil der Arbeitsleistung in die Wohnungen der Mitarbeiter verlagert hat (Homeworking). Resultat: ein reduziertes Bauvolumen mit wenig Energieverbrauch und ein reduzierter Mobilitätsaufwand. Die Mitarbeiter kamen nur 2-3 Mal pro Woche ins „Büro“ zur face-to-face communication. Effekt: drastische Kostenreduzierung auf allen Ebenen und Zeit- und geschonte Nerven für alle Beteiligten.

Der klassizistische Mollerbau, einst Theater der Stadt , ist heute ….Archiv! Er kontrastiert mit den scharf-aggressiven Formen der modernen Universitätsgebäude | CC BY Maurice Dubois
Ein solches Projekt ist wegweisend in eine neue Gesellschaft, denn sie führt zu einer Umleitung der Lebenskräfte vom Materiellen in das Ideelle. Und von da ist es zur Kunst nicht mehr weit.
Dies bedeutet eine drastische Reduzierung der materiellen Produktion. Aber gleichzeitig eine Expansionsmöglichkeit anderer Wirtschaftsbereiche, wie dem der Kunst.
Das Kunstwerk im Original zu sehen oder zu hören, sei es im Konzertsaal oder in der Galerie, ist kostspielig wenn man sein Geld fürs Benzin ausgibt. Das Betreten eines europäischen Museums kostet heute 10 Euro. An und Abfahrt und einen Kaffee und man ist bei 20 Euro. Wenn man Familie hat oder die Freundin einladen will, wird man damit von der Kultur weitgehend abgeschnitten.
Kunst muss deshalb zugänglicher und breiter angeboten werden. Nicht nur die institutionelle Kunst der Museen, sondern viele dezentrale kleine Galerien, Foren, Ausstellungs- und Präsentationsräume für unbekannte Künstler, die vom bestehenden Starsystem ausgeschlossen werden, können ein Angebot für die Bevölkerung erstellen und die Bevölkerung über Foren miteinbeziehen. Hierfür braucht es minimale Mittel, die die Kommunen aufbringen müssen, notfalls bei Reduzierung anderer Kosten. Der Kulturetat muss aufgestockt, nicht abgeschmolzen werden! Es geht um eine Umleitung des Reichtums vom Materiellen ins Ideelle und Künstlerische.
Wenn man Schauspielern, Theatertruppen, Malern, Bildhauern, Musikern usw. Möglichkeiten zu Präsentation ihrer Arbeit gibt, schafft das Arbeitsplätze und eine Stärkung von Identität und Qualität des Wohnortes. Einen Fluchtzwang in weit gelegene Ferienorte würde damit entfallen.
Warum die Autoindustrie mit ihren obsoleten Produkten mit vielen Milliarden subventionieren und die Kunst nicht?
Kunst schafft eine neue Lebensqualität in unseren Städten. Es würde wieder spannend, zu Hause zu bleiben. Damit entfällt ein Großteil des Bewegungswahns. Mit Kunst beruhigt sich die Gesellschaft und beschäftigt sich mit ideellen Themen. Sie wird friedfertig, sie schafft sich ein Paradies und nicht wie jetzt die reine Hölle.
Die Stadt, das Dorf wird wieder Lebensort, nicht Achter- oder Durchgangsbahn.
Das letzte, aber vielleicht wichtigstes Argument für eine Rekultivierung der europäischen Gesellschaft durch Kunst, ist die Tatsache, dass selbst materielle Dinge letztendlich nur Symbole sind.
Die geistige Dimension des Menschen –auch die des neoliberalen Barbaren- erfordert, dass sie in irgendeiner Form seine ideellen Kulturwerte widerspiegeln.
Einige Beispiele:
- Kulturtourismus. Wäre in Prag , Paris oder Florenz nicht über Jahrtausende Kunst produziert, finanziert, geschützt und erhalten worden, gäbe es heute keine Einnahmen für diese Städte durch den Tourismus. Kein Mensch würde nach Prag reisen um sich die kommunistischen Panel-Siedlungen anzusehen. Europa verkauft schon jetzt seine Kultur und Kunst der Vergangenheit – vergisst aber, dass diese zum Zeitpunkt ihrer Schaffung Gegenwart war! Also geht es darum , neue Kunst zu ermöglichen so wie man das Autofahren ermöglicht durch Straßenbau usw.
- Ein Auto wird als Transportmittel angeboten, d.h. der Mehrwert des Autos im weitesten Sinne ist es, die Produktion zu ermöglichen und zu verteilen. Aber kein Mensch würde sich aus diesem Grund einen Porsche kaufen. Der Porsche mit seinen 200 PS und seinen 4 Auspuffrohren steckt heute genauso im Stau wie Michals alter Škoda. Also wird hier nicht das Transportmittel gekauft sondern das soziale Prestige, das in unserer Gesellschaft leider immer noch mit diesen Knatterkisten einhergeht. Es wird ein ideeller Wert gekauft.
- Dies kann man auf unendlich viele Produkte ausdehnen: Niemand braucht iPhones zum Telefonieren oder Texten. Oder ein Tablet. Der Mehrwert ist minimal. Jedoch muss durch die monetäre Bereicherung großer Teile der Gesellschaft das Geld ja irgendwie ausgegeben werden um nicht alles zu horten. Basisprodukte ausgenommen stehen damit die meisten Luxusgüter für ideelle Werte. Das iPhone, der Porsche und einiges mehr ergeben ein hohes soziales Prestige und dies wiederum ermöglicht Zugang zu einer hübschen Blondine. Die wiederum eine Metapher ist für das Paradies schlechthin. Wir kommen also wieder da an, wo Duccio oder Van Eyck sein Paradies mit Kalkfarben und Kerzenlicht an irgendwelche Kirchen gemalt hat. Nur mit irrationalen Umweg über den Materialismus: Benzin und Erde muss aus dem Bauch der Erde gefördert, prozessiert und um den Globus verteilt werden für Kitsch als Endprodukt, welcher einer neurotisierten Weltbevölkerung immer neuen Konsum von ähnlichen Produkten suggeriert als Ersatz für den echten und ultimativen Wert der Schönheit – und darüber hinaus vielleicht für Gott.
Der Beitrag der Kunst zur Wirtschaft ist selbst heute enorm!
Die staunenden Gesichter der Runde und ihre Fragen und Einwände („aber wir haben doch den Malverein der Hausfrauen, die ihre Bilder im Weihnachtsmarkt verkaufen“) zeigen mir nach dem Vortrag, welches Umdenken es noch benötigt für eine kulturorientierte Veränderung der Gesellschaft.
Die Rückfahrt
Ich trete die Rückfahrt an, wieder als Mitfahrer. Platzregen auf der Autobahn, Stau, LKWs. Der Fahrer, ein netter junger Unternehmer, muss all seine Termine absagen und umlegen. Die Natur schlägt zurück – auch auf die moderne Wirtschaft. In Nürnberg steige ich aus, um mir die große Dürerausstellung anzusehen. Es gibt eine Warteschlange von einer Stunde. In der Schlange stehen überwiegend ältere Menschen, wenig Jugend und keine mit „Migrationshintergrund“. Warum sollten sich Muslime auch für Dürer interessieren? Ihr Koran verbietet das Bild (zb. Koran5/90) ähnlich, wie der Glauben der Juden, deren altes Testament mit der Darstellung eines düsteren und eifersüchtigen Gottes, wir in Europa kulturell überwunden haben.
Wie soll eine Gesellschaft mit solch unterschiedlichen Wertvorstellungen zusammenwachsen?
In der überfüllten Ausstellungshalle fällt mir ein Bild Dürers besonders auf: die vier apokalyptischen Reiter. Sie sind eine bildliche Umsetzung der Johannes Offenbarung, die in Kapitel 6 sagt:
Und als es das dritte Siegel auftat hörte ich die dritte Gestalt sagen: Komm. Und ich sah ein schwarzes Pferd Und der darauf saß hatte eine Waage in der Hand. Und ich hörte eine Stimme sagen:“ein Pfund Weizen um ein Silberstück, und drei Pfund Gerste um ein Silberstück aber Öl und Wein taste nicht an!
Dürer hat daraus seinen berühmten Holzschnitt gemacht. Scheinbar war ihm um eine große Verteilung des Bilds gelegen, sonst hätte er es als Original gemalt. Auffallend auf dem Blatt ist der Reiter mit der Waage als größte Figur. Mehr noch als seine schwarzen Kollegen, die den Krieg symbolisieren, sowie den auf dem vierten Pferd symbolisierten Tod zerquetscht er die Menschen unter seinen Hufen: Päpste, Reiche, Ritter alle werden zermalmt und verschwinden in der Pforte der Hölle.
Meine Interpretation von Text und Bild ist folgende: in der Zeit nach Jesus war das römische Weltreich schon weitgehend monetarisiert. Über die Konzentration von Geld und Kapital kam es zu erheblichen sozialen Verschiebungen. Reiche Grundbesitzer kauften die Schollen der Kleinbauern auf. Diese fielen als Produzenten in Wettbewerb aus und endeten als Proletariat arbeitslos mit Brot und Spielen in den Kloaken Roms. Später, im 16.Jahrhundert, kam das Bankwesen hoch. Die Medicis waren die reichsten Banker Europas und diktierten die Politik Florenz, bis sie bankrott gingen und aus der Stadt ausgewiesen wurden. Diese enorme Reichstums-Akkumulation der frühen Oligarchen wurde natürlich mit der relativen Armut der steuerzahlenden Bevölkerung bezahlt.
Der soziale Unmut und Protest schlug sich in der Protestantenbewegung, erst mit Jan Hus, dann Luther nieder. So zeigt auch dieses Bild Dürers beispielhaft, wie europäische Kunst genuin mit einer Beobachtung und Bewertung der gesellschaftlichen Zustände zusammenhängt. Hier sind unsere Kultur und hier müssen wir nach 100 Jahren modernistischer Abstraktionen wieder anknüpfen!
Ich fahre zurück nach Prag mit einer Raserin: 170km in einem kleinen VW-Polo. Ich erzähl ihr, dass ich letztes Jahr einen guten Freund auf der Autobahn verloren habe. Sie versteht mich nicht.
Dumpf liegen die schwergrauen Wolken über der Autobahn. Bald wird sich der Himmel entleeren.
Kommentare
2 Kommentare zu Europa und Kultur – welche Perspektiven gibt die Kunst unserer Gesellschaft?
Lieber Maurice, vielen Dank für Deinen spannenden Beitrag . Auch wenn ich Deine Romantik fürs vor-materialistische christliche Abendland bei allem Respekt nicht teile. Das Plädoyer für Kunst und Kultur in Zeiten des “alterativlosen” Sparens tut schon not. Leider hast Du mein früheres Feedback zu einem m.E. sehr unnötigen und ärgerlichen Punkt in Deinem Beitrag nicht aufgenommen. Du schreibst: ?…, wie der Glauben der Juden, deren altes Testament mit der Darstellung eines düsteren und eifersüchtigen Gottes wir in Europa kulturell überwunden haben.? Auch wenn es immer schön weiter tradiert wird. Der Gegensatz vom düsteren Gott des sogenannten “alten” Testaments zum gnädigen, liebenden Gott des neuen Testaments ist ein Konstrukt. Interessanterweise wird dieses Konstrukt heute von kirchenfernen Kreisen fast stärker vertreten als von frommen, bibeltreuen Christen. Ich denke, es wäre nicht schlecht, wenn Du Dich diesbezüglich einmal von einem Alttestamentler an der nächsten Theologischen Fakultät oder von einem jüdischen Christusforscher aufschlauen lässt. Bis dahin findest Du bei Interesse unter
http://www.bibelwissenschaft.de/nc/wibilex/das- bibellexikon/details/quelle/WIBI/zeichen/g/referenz/20012/cache/ea9621ef8764db7d8e6ad55b747 bbddb/
eine solide Einführung über das vielschichtige Gottesbild in der Bibel. Ebenfalls führst Du aus: ?In der Schlange stehen überwiegend ältere Menschen, wenig Jugend und keine mit ?Migrationshintergrund?. Warum sollten sich Muslime auch für Dürer interessieren? Ihr Koran verbietet das Bild (zb. Koran5/90) ??.
Keine Ahnung, ob Jugendliche ohne Migrationshintergrund aus bildungsfernen Schichten so viel häufiger ins Museum stolpern als welche mit Migrationshintergrund. Ich halte Deine These vom Zusammenhang zwischen religiösem Background und Desinteresse an Kultur auf jeden Fall für ziemlich steil. Vor allem, weil sie ein Schlag ins Gesicht für jeden kulturbeflissenen Muslim ist. Und christliche Bilderstürmer soll es ja auch gegeben haben. Vielleicht gibt es einen Piraten mit besseren Islamkenntnissen als mich, um Dir aufzuzeigen, wo Du Dein Wissen diesbezüglich aktualisieren kannst. Beide Punkte finde ich extrem ärgerlich, weil Sie in einem so wichtigen Feld wie der Kultur künstliche Gräben zwischen Menschen aufreißen. Ich würde mir wünschen, dass Piraten eher das Verbindende zwischen Menschen suchen und fördern.
Beste Grüße
lieber… Danke für den comment. Ich würde es begrüssen wenn du es schafftest, ihn zu publizieren. Dieser Artikel sollte als Diskussionsgrundlage für ein wichtiges, jedoch gemeinhin unterbelichtetes Thema dienen. Konträre Auffassungen sind mir dabei immer willkommen: sie geben Anlass die eigene Position zu überdenken und ggf zu korrigieren! Vieles löst sich auch in einer sachlich-freundlichen Diskussion auf…
Hier nun meine Antwort. 1. Ich ziehe keinen Graben zwischen “Muslims” und auch nicht zwischen Jugendlichen und dem Rest der Welt. Ich habe es nur als charakteristisch gefunden, dass in der Warteschlange weder die einen noch die anderen representiert waren. Meine Interpretation ist, dass ältere Menschen in Europa noch den notwendigen kulturellen background haben, um eine geistig anspruchsvolle Ausstellung wie die genannte zu “geniessen”. Wenn die AlltagsKultur nur aus TV-und Videogames besteht, einem täglichen, rein sensualistischen Bilder-tsunami, dessen stetige Umkehrung moralischer Werte unkritisch aufgesogen wird, kann man von so akkulturierten Jugendlichen nicht erwarten, sich 10 minuten vor ein Dürerbild zu stellen und sich mit ihm zu beschäftigen.
Nochmals: dies ist kein Graben der Segregation sondern nur eine Feststellung, die bestenfalls zu einem verbesserten Bildungsangebot für Muslime in Deutschland führen könnte. Ich denke es gibt derzeit keine spezifischen Kulturprogramme für Muslims in Deutschland! Wenn es jedoch ein konstruktives Zusammenleben mit 4 Millionen “Alttestamentariern” geben soll, dann sollten diesen europäische Werte verstärkt dargestellt und vermittelt werden.
2.Muslime und das Bild. Natürlich gibt es eine Vielzahl von Lebensweisen innerhalb der Muslime. Ein Bezug auf den Koran -und der sollte für jeden Muslim zwingende Vorgabe sein- definiert die Rolle des (darstellenden) Bilds eindeutig: in Sure 6/74 und insbesondere in Sure 5/90 (“O Ihr die ihr glaubt: sehet der Wein, das Spiel, DIE BILDER und die Pfeile sind ein Greuel von Satans Werk. Meidet sie , vielleicht geht es euch wohl!”)
Das (darstellende) Bild ist des Teufels wie das Spiel und der Wein, weshalb es in der islamischen Kunst kaum Darstellungen gibt im Gegensatz zu Kaligraphie und geometrische Muster.
Dies ist auf die alttestamentarische Haltung zum Bild zurückzuführen. Auch der jüdische Glaube meidet das darstellende Bild. Verboten ist es, darzustellen, was über, auf und unter der Erde (im Meer) existiert. Es ist kein Zufall, dass in der abstrakten Modernen des Anfangs des 20.Jhs überwiegend Juden als Künstler, Käufer und Promoter (Kunstkritiker, usw.) tätig waren. (Weshalb für mich der Begriff “Moderne” für die Kunst des 20.Jhs von fraglichem Wert ist)
Im neuen Testament hingegen, auf welchem überwiegend das europäische Christentum basiert, gibt es mE kein Bilderverbot (?) Richtig ist allerdings, wie du sagst, dass es auch bei “uns” Bilderstürmerei gab: in Byzanz und unter der Lutherbewegung. Im Fall der byzantinischen Ikonoklastie war wohl der religionskonzeptionelle Streit ausschlaggebend, im Fall des Protestantismus wohl eher ein Wutausbruch gegen die parasitär lebende katholische Kirche und ihren blattgoldverzierten Kichenbildern.
Interessanter erscheint mir deshalb die byzantinische Ikonoklastie: sie wurde in zwei Synoden “korrigiert” (Nicea, 787) , wo festgestellt wurde, dass Bilder zum Gottesglauben helfen können , denn sie EVOZIEREN die Idee Gottes. Damit ist ein Heiligenbild nicht der Heilige selbst, sondern symbolisiert nur den positiven Wertegehalt desbetreffenden Heiligen.
Unsere ganze visuelle Kultur in Europa basiert auf dieser Annahme des idealhaltigen darstellenden Bilds!!!
Dass es für diese Frage auch bei den Piraten noch keine grosse Sensibilität gibt, streite ich nicht ab. Sie erscheint mir aber erstrebenswert, denn ohne eine KULTURELLE Neuausrichtung, ohne eine KULTURELLE Alternative zum globalisierten Multi-Kulti- Neoliberalismus wird Europa nicht als demokratische Einheit in der Welt überleben. Offenheit bedeutet nicht Schwäche, das ist meine Überzeugung.
Ich wünsche Dir und allen anderen Piraten ein frohes, friedliches und besinnliches Fest. (was trinkt ein Pirat an Heilig Abend???)
Maurice
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