Für Krankenversicherte werden die Karten neu gemischt
Die Zeit der bisherigen Versicherungskarte der Krankenkassen ist abgelaufen. Sie wird von der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) abgelöst. Im Herbst 2011 wurde mit dem Austausch begonnen. Bis Ende 2012 sollen schrittweise ca. 70 Mio gesetzlich Versicherte damit ausgerüstet werden. In diesem Zusammenhang werden die Mitglieder von Ihren Krankenkassen aufgefordert, ihnen ein Lichtbild zuzusenden.
Zweck der eGK ist es, durch Ergänzung eines Fotos und der Geschlechtsangabe, den möglichen Missbrauch, im Vergleich zur bisherigen Versicherungskarte, zu erschweren. In weiteren Ausbaustufen ist vorgesehen, Daten für E-Rezepte und den EU-Krankenschein auf der Karte zu speichern. Freiwillig können ebenfalls medizinische Daten und Notfallinformationen hinterlegt werden. Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) möchte alles auf eine Karte setzen und überlegt, die eGK zusätzlich als Organspendeausweis zu nutzen.
Wenn alle Ausbaustufen freigeschaltet und alle Infrastrukturen bei den Heilbehandlern geschaffen sind, gleicht die vollständige Nutzung der eGK einer zentralen Patientenakte. Wichtig ist dabei, dass abgesehen von den Verwaltungsdaten, dem E-Rezept und den Identifikationsmerkmalen, der Patient jederzeit über den darüberhinausgehenden Umfang der Datenspeicherung entscheiden kann. Geplant ist, dass der Patient seine Daten einsehen, drucken und löschen kann.
Wollen wir nicht alle ein effizientes, preiswertes Gesundheitssystem?
Die Befürworter der eGK argumentieren, dass durch eine solche Karte automatisch Adressdaten abgeglichen und aktualisiert werden, Doppelbehandlungen unterbleiben, Unverträglichkeiten dokumentiert und ältere Daten bei der Ursachenforschung einiger Symptome mit einbezogen werden können. Dies klingt bestechend und könnte dazu beitragen, Administration zu reduzieren und das Gesundheitssystem von erschlichenen Leistungen zu befreien.
Als erster Schritt, vermutlich in 2013, ist beim Arztbesuch ein Online-Abgleich der Patientendaten mit dem Versicherer geplant. Dabei werden Adressänderungen auf die Karte geschrieben, abgelaufene Karten erkannt und dadurch Missbrauch vorgebeugt. Wenn diese Mechanismen zu Einsparungen führen, ist das angesichts immer stärker steigender Versicherungsbeiträge wünschenswert. Voraussetzung ist jedoch, dass möglichst viele Beteiligte mitmachen und dass die implementierten Systeme irgendwann effizient arbeiten. Einsparung ist möglich, aber um welchen Preis?

Gläserne Gesundheitskarte | CC BY | Francis-Drake
Von anderen lernen
Um das Einsparpotential zu bewerten und den Nutzen der eGK abzuschätzen hilft es, sich bei denen umzusehen, die bereits Erfahrungen mit ähnlichen Projekten gemacht haben. Ein Beispiel liefert die Privatwirtschaft. Dort gibt, Verzeihung, gab es das Portal „Google Health“. Das Unternehmen, das grundsätzlich dafür bekannt ist, keinen Dollar anbrennen zu lassen, hatte Nutzern angeboten, Krankendaten online zu speichern und zu verwalten. Zum 01.01.2012 wurde der Dienst eingestellt. Begründung war die mangelnde Nutzung und Teilnahme der Kunden. Es scheint also nicht so viele Menschen zu geben, die ihre sensiblen Daten anderen anvertrauen möchten, oder?
Von einem anderen Fall berichtete am 30. Mai 2012 die ARD. Tschechien hat das Projekt seiner Gesundheitskarte nach 10 Jahren Laufzeit beendet. Grund waren die hohen Kosten, die mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung und die fehlende Datensicherheit.
Zwei Fälle, von denen man lernen und die Deutschland als Warnung dienen könnten. Aber Deutschland kann (will) nicht zurück. Die Gesundheitskarte ist beschlossene Sache. So ist es ist im V. Sozialgesetzbuch festgelegt. Last exit – verpasst. Da bleibt nur die Hoffnung, dass Deutschland alles anders, alles besser macht. Schließlich gibt es in diesem Land, in dem die Wirtschaft im Kanzleramt feiert, keine Korruption, immer machen alle Bürger mit und unsere Politiker wissen als erste, was sicher ist.
Die Gesundheit ist sicher
So einen ähnlichen Satz haben wir vor nicht allzu langer Zeit schon einmal aus einem Bundesministerium gehört. Der durchaus sympathische Frontsoufflierer lag auch gar nicht so falsch, er ist von weiten Teilen der Bevölkerung lediglich falsch verstanden worden. Die Kernaussage ist richtig, nur der Umfang von sicher muss definiert werden. Wie sicher ist also die Gesundheitskarte?
Das BMG versichert, dass durch PIN des Patienten und durch PIN des Arztes (Zweischlüsselprinzip) nur diese auf die sensiblen Daten zugreifen können. Die separat verschlüsselte Notfallinformation sollen ohne PIN des Patienten, also nur mit dem Schlüssel eines Heilberufsausweises abgefragt werden können. Fragt sich, wie einfach ein Heilberufsausweis zu erhalten ist. Wirklichkeitsfremd erscheint die Annahme, dass der Arzt selbst in der Praxis am administrativen Prozess teilnimmt und selber seinen Schlüssel in das Lesegerät eingibt. Die PIN wird sicher frei in der Büroorganisation verfügbar sein, klebt vielleicht auch schon mal am Bildschirm oder liegt unter der Schreibunterlage.
Im Juni 2012 wurde bekannt, dass 55 Krankenkassen etwa 2 Millionen fehlerhafte eGK versandt haben. Es fehlte die PIN des Patienten zur Verschlüsselung der Daten. Jetzt erfolgt die Lesesperre bis zum Austausch dieser neuen Karten nur per Einschlüsselprinzip. Bleibt zu hoffen, dass bis dahin keine (freiwilligen) persönlichen Daten beim Arzt auf die eGK aufgespielt werden. Sonst kann jede Person mit Heilbehandlungsausweis die Daten auf einer solchen Karte ohne den Patienten auslesen. Die ausliefernde Firma und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sehen keinen Handlungsbedarf. Angeblich seien die Daten sicher. Vom BMG hieß es, man sei verärgert.
Geplant ist ein Datentransfer und Informationsaustausch von Arztpraxen, an Krankenhäuser, von Ärzten an Versicherungen und wieder zurück. Wer will das „sicher“ beherrschen? Wem bei diesem Zugriffsdreieck (Versicherer – Arzt – Patient) noch nicht die Lust auf die eGK vergangen ist, sollte berücksichtigen, dass noch weitere Personenkreise auf die Karte zugreifen. Die Sicherheitslücke wird durch das vom Arzt auf die Karte gespeicherte E-Rezept größer. Apothekenpersonal, das nicht der ärztlichen Schweigepflicht unterliegt, greift ebenfalls auf ein Speichermedium mit sensiblen Daten zu. Von den vielen Lesegeräten die ausgetauscht oder manipuliert werden können ganz zu schweigen.
Egal wie sicher die Daten auf der Karte verschlüsselt sind (wenn also wirklich mal alle PIN darauf sind), das von den Beteiligten erdachte System erinnert an ein hochsicheres Tor, an dem links und rechts der Zaun fehlt. Wird die eGK in der Praxis also zum virtuellen Nacktscanner für Patienten? „Machen Sie sich bitte frei“ bekommt in dem Zusammenhang eine völlig neue Bedeutung.
Kostenexplosion ohne Waffenschein
Nachdem die eGK bei den Sicherheitsaspekten durchgefallen ist, könnte man den Bürgern empfehlen, keine sensiblen Daten zu speichern und hoffen, dass wenigstens Einsparungen möglich sind. Aber hier bildet sich ein Teufelskreis. Nur wenn alle Patienten mitmachen und alle Daten allen (Berechtigten) zur Verfügung stehen, lassen sich Einsparungen erzielen. Oder ließen sich auch dann keine Einsparungen erzielen?
Waren für die Einführung der eGK Kosten von ursprünglich 1,4 Milliarden Euro (Bund) veranschlagt, geht man inzwischen von offizieller Seite sogar von bis zu 14 Milliarden Euro aus (Gematic = Verwaltungs-GMBH der eGK). Durch die Ausrüstung der Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser mit Lesegeräten, entstehen Ausgaben von geschätzt 600 Millionen Euro. Die Krankenkassen tragen die Kosten für die Hardware bei den Heilbehandlern und erstatten den Praxen zusätzlich Pauschalen für die Onlinepflege der Patientendaten. Wo könnten sich die Versicherer für diese Ausgaben refinanzieren? Insbesondere, wenn die erhofften Einsparungen im Gesundheitssystem nicht eintreten?
Die IT-Branche hat bis 2010 schon mehr als 300 Mio. Euro an Investitionen geleistet. Etwa 50 Deutsche IT-Unternehmen haben sich über ihren Bundesverband Bitkom positioniert, um an der Vernetzung des Gesundheitssystems Geld zu verdienen. Das dann ausgerechnet die IT-Industrie das Einsparungspotential allein bei der Dokumentation der verschriebenen Arzneimittel mit jährlich 500 Mio Euro angibt und diese Information an die Presse lanciert, hat den Beigeschmack von Eigeninteresse.
Angesichts der bisherigen Kosten, Schwierigkeiten und Pannen steht fest, ein wirtschaftlicher Mehrwert wird auch bei maximaler Akzeptanz der Patienten und bei vollständiger Datenverfügbarkeit in den ersten zehn Jahren nicht erreicht. Damit wird die eGK zum teuersten Flop des Deutschen Gesundheitssystems und gleicht einer Elbphilharmonie für die Hosentasche. Ein Desaster, für das die Versicherten kollektiv über ihre Beiträge haften.
Es formiert sich Widerstand
Zu diesem Schluss kommen immer mehr Ärzte und Versicherte. Bisher haben etwa 750.000 Bürger gegen die eGK in einer Unterschriftenliste protestiert. Ein Betroffener hatte vor dem Düsseldorfer Sozialgericht geklagt, seine Leistungen von der Krankenkasse auch ohne verpflichtende Nutzung der eGK zu erhalten. Als Begründung hatte der Kläger Mängel im Datenschutz angegeben. Mit Urteil vom 28.06.2012 wurde die Klage, in dem als Pilotverfahren angesehenen Verfahren, allerdings vom Gericht abgewiesen. Die nächste Instanz ist dem Kläger noch offen.
Der Bremer Hausärzteverband verweist auf die hackbaren Server auf denen die Patientendaten zum Online-Abgleich der Gesundheitskarten gespeichert werden. Gemäß den Abstimmungen auf den jährlichen Ärztetagen (Hauptversammlung der Bundesärztekammer) ist die Mehrheit der Ärzte gegen eine Einführung und Nutzung der Gesundheitskarte.
Der Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (FoeBuD) liefert auf Wunsch gleich ganze „Verweigererpakete“ mit Flyern und Informationen für die Arztpraxis oder die Apotheke. Engagierten Patienten werden Empfehlungen zum Umgang bei Anfragen durch die Krankenkassen angeboten. In der WDR-Lokalzeit vom 25.07.2012 wird über den Widerstand berichtet.
Eine weitere Initiative „Stoppt die e-Card“ hat die etablierten Parteien zur eGK befragt. Ausgerechnet die Piraten sind nicht mit einer Stellungnahme auf der Homepage aufgeführt. Die eGK berührt mit der beabsichtigten Datenspeicherung eine Kernposition der Piratenpartei. Es ist Zeit dieses Thema aufzuarbeiten und den Verbrauchern mitzuteilen, welche Risiken mit der Gesundheitskarte verbunden sind. Die Piraten dürfen nach ersten Erfolgen (ACTA, Transparenzgesetz) nicht selbstgefällig werden. Hier ist Handlungsbedarf.
Kommentare
8 Kommentare zu Das Bundesministerium für Gesundheit setzt alles auf eine Karte
Ich verweise darauf, dass auf dem Parteitag in Offenbach drei Anträge zur eGK nicht behandelt wurden. Es gibt aber auf Landesebene (Beispielsweise NRW und Saarland) entsprechende Beschlüsse. Die Fallen aber erfreulicherweise etwas differenzierter aus, auch wenn der Artikel schon versucht das Thema nicht ganz so einseitig zu betrachten.
Fakt ist, dass das Projekt einen sehr schlechten Start hatte (personell und konzeptuell), die angedachte Architektur zur zentralen Datenspeicherung war da der Hauptkritikpunkt. Allerdings hat sich das Projekt auch fortentwickelt. Der Schwerpunkt liegt auf der Bereitstellung von Schlüsseln für Mehrwertdienste, die auf der Infrastruktur aufsetzen. Es gibt tatsächlich einen Bedarf an intersektoraler Kommunikation im Gesundheitswesen und die eGK schafft eine universelle Infrastruktur, um diesem Bedarf Rechnung zu tragen. Wer die eGK ablehnt sollte zumindest eine Alternative in der Tasche haben. Und da sehe ich als nicht zielführend an das Projekt pauschal einstampfen zu wollen.
Übrigens finde ich es nicht gerechtfertigt von einer Dreiecks-Kommunikation zu sprechen, da es suggeriert, dass die Krankenkassen Zugriff auf Patientendaten erhalten. Um einen Missbrauch auszuschließen sollte allerdings überlegt werden, ob die Entwicklung nicht in eine dezentrale Richtung gehen sollte (Konzept der eGK_m+) mit großem Speicher auf der Karte.
Übrigens weist dein Link zur Kostenexplosion nicht auf eine entsprechende Quelle. Dass es mehr Geld kostet als geplant ist aber logisch aufgrund der großen Verzögerungen.
Ich kann in der Kommentarspalte auch nicht auf alles eingehen, aber wir sollten uns davor hüten Probleme zu vereinfachen oder die Komplexität unzulässig zu reduzieren. Dann agieren wir so, wie es den Grünen in Umweltfragen immer wieder vorgeworfen wird.
bitte noch 750.00 –> 750.000 ändern
Ist geändert, vielen Dank für den Hinweis!
Allein das Passbild kostet 7,50€ pro Kopf, also grob über den Daumen gepeilt eine halbe Milliarde in Deutschland.
Was ist eigentlich in den Fällen, in denen Apotheken etwas rausgeben, was sie nicht hätten rausgeben dürfen (Sondern nur Reformhaus X, aus Vertragsgründen)? Bisher wurde dann einfach vom Patienten der Kram zurückgegeben und er hat sein Rezept wieder erhalten. Was ist mit der Karte? Apotheke zahlt Strafe, “falsch” herausgegebenes muss vernichtet werden, Patient läuft nochmal zum Arzt etc.? Selbst wenn nur 0,01% der Ausgaben irgendwie fehlerhaft sind, sind das einige pro Tag.
ich habe die aufforderung erhalten meiner KK ein bild zu senden was passiert wenn ich das nicht mache bis meine (relativ junge) karte abgelaufen ist?
Dann kannst Du noch mit der alten Karte zum Arzt gehen, solange die gültig ist und die eGK noch nicht an potentiell alle verteilt ist. Danach musst Du für jeden Arztbesuch einen schriftlichen Nachweis von Deiner Krankenkasse einfordern, die Du dann in die Praxis mitnehmen musst. Ergo: Irgendwann werden Verweigerer zwangsläufig Probleme haben, Leistungen zu erhalten.
Zitat aus der Mitteilung meiner Krankenkassen:
Sollten wir Ihnen keine eGK zusenden können, müsste Ihr Versicherungsnachweis zukünftig per Einzelnachweis pro Behandlung in Papierform erfolgen. Diesen müssten Sie vor jedem Arztbesuch bei uns anfordern. Die EHIC-Karte wird nach Bereitstellung der eGK an alle Versicherten nicht mehr gültig sein. In den Arztpraxen werden dann die alten Karten nicht mehr angenommen.
Schöner Beitrag.
Meines Erachtens müsste noch stärker darauf eingegangen werden, dass vielen (zumeist wohl freiwillige) Daten eben nicht auf der eGK gespeichert werden, sondern in zentralen Datenbanken. Besonders bei den Krankenkassen wird oft vermittelt, dass ja alles sicher auf der Karte gespeichert sei. Damit suggeriert man, dass ich meine Daten selbst in der Hand hätte.
In Frankreich gibt es die carte Vitale, eine Karte mit Speicherchip, die die Weiterleitung der Fakturierung an die Krankenkasse automatisiert (in Frankreich zahlt der Patient, ausser in Sonderfällen, sofort die Behandlungskosten an den Arzt und bekommt diese von der Kasse teilweise ersetzt). Diese Karte speichert soweit ich weiss auch Patientendaten, bezüglich der Identität,Versicherungsform, etc. jedoch keine Krankheitsdaten. Mir (dh der Öffentlichkeit) ist unbekannt, mit welchen Schlüsseln diese wem zur Verfügung stehen. Der Träger hat keinen persönlichen Schlüssel