Wenige Tage vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen wurde bekannt, dass das Wahlprogramm der Piratenpartei an einigen Schulen in diesem Bundesland gesperrt ist. Der Grund ist nicht, seien wir so ehrlich, die Sorge der Schulbehörden vor dem Einzug der Piraten in das Düsseldorfer Landesparlament. Sondern schlicht der Umstand, dass die Piratenpartei in ihrem Wahlprogramm Ziele formuliert, die dem Landesgesetz nicht entsprechen.
Konkret nimmt die Filtersoftware Anstoß an der Piratenforderung Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken. TIME for kids Informationstechnologien GmbH, Hersteller der Filtersoftware, erklärte, dass die Sperre bereits mehrere Jahre alt sei und somit kein Zusammenhang zu der anstehenden Wahl besteht. In der Regel gibt es wenige Möglichkeiten zu überprüfen was eine Sperre tatsächlich verbirgt. So sperren viele Länder auch jene Seiten die auflisten welche Seiten weggefiltert werden. Hier liegt der Fall zum Glück etwas einfacher. Ausserhalb der Schulmauern, ja schon mit einem Smartphone oder einen Pad) können Interessierte sehen, dass die gesperrte Seite unter www.piratenpartei-nrw.de/landtagswahl-2012/wahlprogramm/ zu finden ist. Die Jahreszahl 2012 im Link macht die Aussage es sei eine “alte Sperre” zumindest unglaubwürdig. Dazu kommt: Das Wahlprogramm der Piraten setzt sich mit Cannabis und der Sucht auseinander und fordert die Entkriminalisierung. Das ist an sich aber nicht illegal – und wohl auch nicht jugendgefährdend.
Es ist nicht das erste Mal, dass die TIME for kids Informationstechnologien GmbH in der Kritik steht. Bereits 2010 wurde bekannt, dass netzpolitik.org, eine Organisation die gegen Netzsperren kämpft, in Nordrhein-Westfalens Schulen gesperrt ist. Obwohl es genau genommen ebenfalls nicht illegal ist, gegen Websperren eingestellt zu sein.
Die Sperre beweist wieder einmal welche Kolateralschäden ein gefiltertes Internet verursacht. Die Sperre zeigt auch wie wichtig der Einzug der NRW-Piraten in den Düsseldorfer Landtag ist. Eigentlich sollten wir für diesen neuerlichen Beweis dankbar sein! Um die Harmlosigkeit dieses Punktes im Wahlprogramm der Piratenpartei Nordrhein-Westfalen zu unterstreichen, veröffentlicht die Flaschenpost den angeblich jugendgefährdenden Teil des Wahlprogramms.
In NRW konsumieren heute ca. 850.000 Menschen zumindest gelegentlich Cannabis als Genussmittel. Cannabis ist damit als Volksdroge in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Alle bisherigen Versuche, den Schwarzmarkt einzudämmen, führten zu immer weiteren Einschränkungen der Grundrechte: Tausende Abhörmaßnahmen werden gegen vermeintliche Drogendealer angeordnet. Daraus erwachsen aber regelmäßig auch Verfahren gegen einfache Konsumenten. Durch lange aufbewahrte, so genannte „taktische Hinweise“ der Polizei entsteht faktisch eine zentrale „Kifferdatei“, die zum Teil nur auf Vermutungen basiert. Die Einstufung von beispielsweise Bahnhöfen und Parks als „gefährliche Orte“ ermöglicht verdachtsunabhängige Personenkontrollen. Da die Rechtsprechung undurchsichtig ist, werden Besitzer von Kleinstmengen ersatzweise von den Führerscheinbehörden schikaniert. Selbst Patienten mit lebenseinschränkenden Krankheiten, denen Cannabis als Medikament nachweislich hilft, werden Opfer der Strafverfolgung. Die PIRATEN NRW fordern, dass wir uns endlich unserer Verantwortung stellen und den Schwarzmarkt beseitigen. Das aufgrund der Verbotspolitik entstandene kriminelle Milieu muss nachhaltig ausgetrocknet werden. Herstellung, Verkauf und Konsum von Hanfprodukten muss aus der Kriminalität herausgeholt und den Mechanismen des Jugend- und Verbraucherschutzes unterworfen werden. Schimmelpilz und gesundheitsgefährdende Beimengung von Streckmitteln, wie Vogelsand, Backmischungen, Haarspray, Dünger, synthetische Stoffe oder Blei müssen verhindert werden. Wie vorliegende Erfahrungen mit der Entkriminalisierung aus Portugal, den Niederlanden und Tschechien nahelegen, ist langfristig mit geringeren Konsumentenzahlen zu rechnen. Im Gegensatz zu den Niederlanden, wo die Coffeeshops aus illegalen Quellen kaufen müssen, hat NRW hier eine besondere Chance: Ein großer Teil des hier konsumierten Cannabis wird auch in NRW angebaut. Daher besteht gerade hier die Möglichkeit, den gesamten Vertriebsweg einer einheitlichen Qualitätssicherung zu unterwerfen und die organisierte Kriminalität damit aus diesem Bereich zu verdrängen. Freigabe von Cannabis zu medizinischen Zwecken Die Cannabispflanze enthält eine Reihe von Wirkstoffen, die ein hohes Potenzial für die medizinische Nutzung haben. Von diesen Stoffen, den sogenannten Cannabinoiden, gibt es circa 60 verschiedene. Alle weisen ein unterschiedliches Wirkungsprofil auf. Diese Substanzen bieten Linderung bei vielen schwerwiegenden Leiden und Krankheiten, wie beispielsweise Krebs, HIV, Tourette, Epilepsie, Rheuma, Arthritis, Multiple Sklerose oder in der Schmerztherapie. Für diese Krankheiten kennt die klassische Schulmedizin keine abschließenden Behandlungsmöglichkeiten. Während international ein deutlicher Trend in diese Richtung zu verzeichnen ist, wird in Deutschland jede sachorientierte Herangehensweise verweigert. Die NRW-Piraten fordern ein Umdenken. Wir wollen medizinisches Cannabis von BtMG (Bundesbetäubungsgesetz) Anlage I (nicht verkehrsfähige Stoffe) in Anlage III (verschreibungsfähige Stoffe) verschieben. Patienten, die auf die medizinische Nutzung von Cannabis angewiesen sind, soll der Zugang wie zu jeder anderen Arznei aus diesem Bereich ermöglicht werden. Außerdem werden so die Hürden, die eine zukunftsweisende Forschung in diesem Bereich verhindern, aus dem Weg geräumt.
About Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervor ging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites grosses Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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Kommentare
8 Kommentare zu Websperren fressen ihre Kinder
Nicht die Seite an sich, sondern das Wort “Cannabis” oder noch andere entsprechende Worte, die in einer gewissen Häufung im Text vorkommen, führen zur Sperrung. Da kann der Hersteller nichts mehr machen. Aber die Schule kann die Seite auf eine White-Liste stellen, da sie ganz sicher ungefährlich ist.
Das ganze is ne manuell gepflegte Blacklist und kein Wortfilter. Da kann der Hersteller sehr wohl etwas machen, denn der hat die Seite auf die Blacklist gesetzt. Außerdem könnte auch der Hersteller dem Wortfilter eine Whitelist beilegen, wo bekannterweise gute Websites eingetragen werden können.
Ich war selber früher an einer Schule, die dieses Filtersystem benutzt. Der Filter schaut nicht den Inhalt der Seiten an – Er schaut nur auf die URL, und die wird gegen die Blacklist geprüft. Dabei wird auch die URL (nicht aber der Inhalt der Seite!) durch einen Wortfilter gejagt. Somit blockt der Filter auch http://elektro-porn.de/ und http://proxy.example.com/proxy.php?url=http://youtube.com/ . Aber der Filter ist nicht in der Lage, in der Seite selber nach Worten wie “Cannabis” zu suchen, denn dann müsste ich ja z.B. auch auf Wikipedia oder so Ärger bekommen haben, sobald ein bestimmtes Wort zu oft aufgetaucht ist. Aber hier ein Wahlprogramm auf die schwarze Liste zu setzen, halte ich schlicht für Verfassungswidrig. Die Behauptung, die Sperre sei mehrere Jahre alt kann nur eine Lüge sein, denn dann wäre die Sperre ja älter als die Seite.
Über die “Piraten” könnte man sagen, dass sie das können, was die anderen politischen Parteien auch können, nämlich gar nichts. Für die “Finanzkrise” (korrekt: beginnende globale Liquiditätsfalle nach J. M. Keynes, klassisch: Armageddon) gibt es keine wie auch immer geartete “politische Lösung”, weil der Krieg – zwecks umfassender Sachkapitalzerstörung, um den Zinsfuß hochzuhalten – nur solange der Vater aller Dinge sein konnte, wie es noch keine Atomwaffen gab!
Es gibt nur genau eine technische Lösung, die wiederum das, was heute als “hohe Politik” bezeichnet wird, überflüssig macht:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2011/07/was-passiert-wenn-nichts-passiert.html
Hallo, dass die Forderungen politischer Parteien den aktuellen Gesetzen nicht entsprechen, dürfte m.E. kein Grund für Zensur sein. Sonst hätte man ja immer VOR einer Änderung der Gesetze die politischen Diskussionen genau über diese Änderung abwürgen müssen – z.B. zu den §§ 175 und 218 des StGB.
Ich denke, dass man allerdings an dem Fall schön sehen kann, dass die Art und Weise mit der Piraten-Ziele von Euch kommuniziert werden, noch optimierbar ist.
Macht aus Euren Planzielen (konkrete Gesetzesvorhaben) lieber einen “Lernplan”, nachdem die Gesellschaft unter Beteiligung der Bürger ihre Gesetze alle nach und nach prüft.
Viele Grüße Klaus Marwede
Nein es ist nicht so das der TFK Filter aufgrund einer Worthäufigkeit die Seite der Piratenpartei gesperrt hat. Der Hersteller hat dies schon mal getan und diese dann nach Protesten in die Whitelist genommen. Die Datenbank auf die der Filter lokal zugreift enthält nur URLs und IP Adressen. Die Datenbank wird täglich synchronisiert. Man sollte bedenken, dass TFK ein erhebliches Interesse gegen alle hat die Ihr Geschäftsmodel in Frage stellen. Mit einem Ahoi Jörg Hoos
Ganz gleich, wie und warum es zu der Sperrung der Seite gekommen ist – der Punkt ist für mich, dass die Erwähnung des Wortes Cannabis ausreicht, um kriminalisiert zu werden. Es geht ja noch nicht einmal darum, dass die Piraten eine vollständige Legalisierung fordern würden, nein! Lediglich zu medizinischen Zwecken wird dies hier gefordert (in meinen Augen sehr tief gestapelt übrigens!). Wobei mich interessieren würde, ob dies bei den Programmen der Grünen ebenfalls vorgekommen ist – deren Forderungen gingen eine Zeit lang sogar deutlich darüber hinaus…
Seid doch froh über die Sperre, denn es weckt die Neugier zu Hause mal nachzuschaun und die Eltern sind happy “mein Kind interessiert sich für Politik ” B-)
Aus meiner Erfahrung gibt es weitaus größere Probleme mit dem derzeitigen Schulsysthem und den Inhalten. Nicht zuletzt die mangelnde Umsetzungsweise, das Interesse und Verständniss anschaulich zu wecken und darzustellen.
Denn grundsätzlich kann man Jeden für Alles begeistern wenn ich den richtigen Weg finde.
Hallo,
Ich bin auch gegen den Gebrauch von Drogen. Es sind keine Nahrungsmittel und führen leicht zur Abhängigkeit. Wir haben bereits genug Nikototin- und Alkoholsüchtige.
Aber es gibt natürlich Ausnahmefälle; zum Beispiel Cannabis für krebskranke Menschen gegen ihre Schmerzen.
Jugendliche sollten beizeiten über Drogen aufgeklärt werden und das geschieht am besten in offenen Diskussionen. Der Romantisierung von Drogen sollte entgegengewirkt werden.
Allerdings bin ich dafür, dass bereits Drogenabhängige kostenlos geprüfte Drogen erhalten und sie so vor der Kriminalisierung bewahrt werden und die Drogenbanden ausgetrocknet werden.
Unsere Gesellschaft muss dann eventuell riskieren, dass trotzdem Menschen durch Drogenmisbrauch ihr Leben zerstören und vorzeitig sterben.
Das akzeptieren wir aber heute ja auch in noch viel grösserem Ausmass und mit weit grösseren Kosten für unsere Gesellschaft.
Wir müssen von dem Irrglauben wegkommen, dass wir unsere gesellschaftlichen Probleme mit Gesetzen, Polizei und Gefängnissen lösen können.
MfG
Martin
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