Zur Vorgeschichte: Nachdem der parlamentarische Geschäftsführer der Piratenfraktion Berlin, Martin Delius, den aktuellen Aufstieg der Piratenpartei mit dem der NSDAP in den 1930er Jahren verglich, häuften sich die Negativschlagzeilen. Nicht selten fielen in den Medien die Worte “Rechtsextremismus” und “Piratenpartei” in einem Atemzug. Im Stern sprach der Grünen-Politiker Beck von einem echten Abgrenzungsproblem. Das Blatt aus Hamburg berichtete anschließend ausführlich über den Beistand, den Delius von Teilen des Vorstands erhielt. Nachdem auch der Spiegel die Schelte der Grünen aufgriff, zitierte der Focus das Fehlereingeständnis von Sebastian Nerz. In der ZEIT wird anschliessend von Nazi-Vergleichen und Machtkämpfen berichtet. ZEIT ONLINE schreibt in diesem Zusammenhang sogar, dass auch die “Spitzenpiraten” mittlerweile das “Rechtsextremismusproblem” ihrer Partei erkannt hätten. Völlig aus dem Blick geriet, dass nicht nur unser Programm, sondern auch unser Politikverständnis mit einem rechtsextremen Weltbild gänzlich unvereinbar ist.
Während Rechtsextremismus nach amtlicher Definition durch seine Unvereinbarkeit mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes gekennzeichnet ist, streiten Sozialwissenschaftler noch über die richtige Definition. In seinem Urteil bezüglich der neofaschistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 definierte das Bundesverfassungsgericht die freiheitlich-demokratische Grundordnung erstmals durch die acht Prinzipien der Menschenrechte, der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung, der Verantwortlichkeit der Regierung, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Unabhängigkeit der Gerichte, des Mehrparteienprinzips sowie der Chancengleichheit der Parteien einschließlich der Oppositionsfreiheit. Rechtsextremismus zeichnet sich in Abgrenzung zum Linksextremismus demnach vor allem durch Nationalismus, Rassismus, ein autoritäres Staatsverständnis und eine Ideologie der Volksgemeinschaft aus. Der renommierte Rechtsextremismusforscher Richard Stöss untersuchte die Entwicklung des Rechtsextremismus und seine verschiedenen Ausprägungen in einer bei der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienenen Studie sehr detailreich.
Der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer und seine Kollegen legen ihrer bekannten Längsschnittstudie “Deutsche Zustände” hingegen das Konzept der “gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit” zu Grunde. Wer gruppenbezogene Feindseligkeiten hegt, betrachtet andere Menschen wegen ihrer selbst gewählten oder vermuteten Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen als vermeintlich minderwertig. Elemente der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind für die Bielefelder Forscher Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, die Abwertung von Obdachlosen, die Abwertung von Behinderten, Islamophobie, Sexismus, die Abwertung von Langzeitarbeitslosen und die Forderung nach so genannten Etabliertenvorrechten (z.B. “Arbeit zuerst für Deutsche”). Stöss rekurriert für seine Rechtsextremismusdefinition auf autoritaristische, nationalistische, fremdenfeindliche, antisemitische und nationalistische Einstellungsmuster. Studien zu rechtsextremen und menschenfeindlichen Einstellungen in der Bevölkerung beruhen in der Regel auf einem detaillierten Fragenkatalog, mit dem entsprechende Neigungen der Probanden erhoben werden sollen.
Die Piratenpartei bezieht sich in ihren Grundsatzprogramm vielfach auf die freiheitlich-demokratischen Werte des Grundgesetzes und spricht sich eindeutig gegen die den Rechtsextremismus kennzeichnenden Ideologien aus: “Migration bereichert Gesellschaften”, heißt ein Kapitel mit Maßnahmenvorschlägen gegen die Ausgrenzung von Zugewanderten. Außerdem wird gefordert, “Rassismus und Ausländerfeindlichkeit jeder Form entschieden entgegen(zu)treten (…), ebenso wie anderen Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit” (Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland, S. 19f). (Damit bekennt sich unsere Partei zu dem Konzept von Heitmeyer und Co.) In der Geschlechter- und Familienpolitik streben die Piraten die rechtliche Gleichberechtigung aller Arten von Lebensgemeinschaften an. Klar verurteilt wird jede Diskriminierung auf Grund der geschlechtlichen oder sexuellen Identität (Grundsatzprogramm der Piratenpartei Deutschland, S. 17f).

Laut der Stöss-Studie richtet sich das autoritäre Element des Rechtsextremismus gegen die Idee pluralistisch- parlamentarischer politischer Systeme, die auf dem Prinzip der Volkssouveränität beruhen und mündigen Bürgern sowie ihren Organisationen Mitsprache- und Kontrollrechte im politischen Prozess garantieren. Im Gegensatz dazu treibt die Piratenpartei in ihrer internen Organisation das Prinzip der Demokratie auf die Spitze. Die aktive Mitarbeit von Wählern und Mitgliedern an der laufenden Politik ist ausdrücklich erwünscht und soll beispielsweise durch öffentliche Sitzungen und Liquid Democracy verwirklicht werden. Manche Mandatsträger verstehen sich gar nur als “Proxy” (Vermittler), der die Initiativen der örtlichen Bürger und Parteimitglieder in den parlamentarischen Prozess einbringt. Die Beteiligung mündiger Bürger an einer größtmöglich transparenten Politik ist nicht zuletzt zu einer Kernforderung der Piraten geworden, wie die Wahlprogramme für Schleswig-Holstein und NRW aktuell zeigen.
Die ein rechtsextremes Weltbild kennzeichnenden Einstellungsmuster werden weder in der Programmatik noch in der Organisationsstruktur der Piratenpartei verwirklicht. Diskutiert wird jedoch in unserer jungen Partei, wie innerparteilich mit rassistischen, sexistischen oder geschichtsrevisionistischen Äußerungen einzelner Parteimitglieder umzugehen ist. Das stellt uns als Partei vor eine große Herausforderung und ein uraltes Dilemma demokratischer Gesellschaften: Freiheit ist zwar immer auch die Freiheit des Andersdenkenden, die kommentarlose Akzeptanz diskriminierender Äußerungen birgt jedoch die Gefahr, menschenfeindlichen Einstellungen langfristig den gesellschaftlichen Boden zu bereiten, sie durch Verharmlosung salonfähig werden zu lassen. Die unterschiedlichen Definitionsansätze geben einen Vorgeschmack darauf, wie komplex das Phänomen “Rechtsextremismus” und seine Bekämpfung eigentlich sind.
Literatur zum Weiterlesen existiert massenhaft. Für diesen Artikel wurden exemplarisch verwendet:
- Heitmeyer, Whilhelm/ Mansel, Jürgen (2008): Gesellschaftliche Entwicklung und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit: Unübersichtliche Perspektiven, in: Heitmeyer, Wilhelm (Hrsg.): Deutsche Zustände. Edition suhrkamp
- Stöss, Richard (2010): Rechtsextremismus im Wandel, Friedrich Ebert Stiftung Forum Berlin, dritte aktualisierte Auflage
Kommentare
10 Kommentare zu Piratenpartei auf dem rechten Auge blind?
Sieht für irgendwie merkwürdig aus, dass es auch links und rechts radikal liberale geben kann. Ich denke alles am Rande ist automatisch authoritär siehe Kuba, Nordkorea, Weissrussland, Iran , Saudi-Arabien, Afghanistan. Ich hoffe die Piraten sind nicht so totalitär wie die Grünen, die haben ja auch die Weissheit mit dem Löffle gefressen.
Gruß
Piratenbeobachter
@Piratenbeobachter: in keinsterweise. Ein hervorrangedes Beispiel ist die Ultrarechte in den USA (Milizen u.Ä.): extrem rechts eingestellt lehnen sie allerdings jegliche Autorität ab. In der links-libertären Ecke finden sich dann die klassischen Anarchisten.
Cheers, CW
Die Piraten in die rechtsextreme Ecke zu stellen zeugt einzig und allein davon, wie nervös einige etablierte Politiker geworden sind angesichts der Wahlerfolge und der Faszination unseres neuen basis.demokratischen Politikansatzes auf alle fortschrittlich gesinnten Bürger in unsere Ländern. Es ist ein uralter bismarckscher Trick der “negativen Integration”, unliebsame politische gegner zu dämonisieren. Zur Erinnerung: erst hatte er sich die Katholiken als “Feindbild” ausgewählt mit dem Kalkül, dass diese in Deutschland ja wohl in der Minderheit seien. Als das schief ging, waren die Sozialisten dran. Das unrühmliche Ende des “Sozialisten – Gesetz” kann in jedem Geschichtsbuch nachgelesen werden. Die Nachfolger Bismarcks wählten in Vorbereitung des 1. WK schließlich die Juden zu diesem Zwecke der Motivation der Soldaten in den grauenvollen Schützengräben des Stellungskrieges. Als auch die “internationalen Sozialisten” den 2.WK auf sder Seite der Sieger überstanden, sind nun die “nationalen Sozialisten” dran. Sie haben den Vorteil, dass sie nur eine sehr kleine Minderheit ewig Gestriger repräsentieren und die ihnen angelasteten Verbrechen aktueller sind, als die Völkermordmassaker der Kolonialmächte. Die Alternativen zu den einen wie den anderen kann nur die wahre Volksherrschaft (“Demokratie”) sein, deren Gefährlichkeit für die gegenwärtig Machtausübenden bereits ein preußischer König erkannte, als er sagte: “Gegen Demokraten helfen nur Sodaten!” “Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter!” kann nur unsere Antwort sein. Sich großartig immer wieder als “antifaschistisch ” zu positionieren und zu rechtfertigen würde nichts bringen, denn diese Angriffe haben Methode. Die “Haltet den Dieb!” -Methode ist unter Ganoven sehr beliebt, weil erfolgreich aber nur sehr kurzfristig, um sich der sicher folgenden Streafe zu entziehen. W. George Kendray
Rechtsradikale Liberale? Ein Beispiel wäre da die FDP zu nennen. Freier Markt ohne Rücksicht auf die Menschen, Sozialdarwinismus (römische Dekadenzdebatte, Verweigerungen dringender sozialer Maßnahmen, wie dem Mindestlohn), offener Hass gegen Parteien links von der Mitte, Zwangsarbeit zum Nulltarif bzw. zu sittenwidrigen Entgelten usw. usw. Rechtsextremismus ist weitaus mehr als nur dieser völkische Wahn. Dieser hat sich, wie fast alles weiter entwickelt. Man nennt es nur etwas anders. In meinen Augen liegt Rechtsextremismus vor, wenn man Menschen ausschließlich nach ihren Wert und Nutzen urteilt und vermeitlich wert- bzw. nutzlose Menschen massiv an den Rand drängen will oder gar hinter vorgehaltener hand umbringen würde. Kurzum: Neoliberlismus hat sich zum “rechtsextremen Liberalismus” entwickelt
Ahoi, es ist einfach nur laecherlich, den Piraten Extremismus zu unterstellen. Das kann nur jemand, der sich nie mit den Piraten beschäftigt hat oder böswillig ist.
ahoi mädels und jungs
…weiß ja nicht, was jetzt das dumme gelaber über rechts und links jetzt hier soll aber egal… hatte mich schon gefreut, dass es entlich mal eine partei gibt, die man nicht einordnen kann bzw nicht will. in unser zeit fehlt nämlich mal eine partei die einfach mal den großen parteien kontra gibt und mal diese plutokratie wieder in einen demokratie zurückverwandelt(!) denn was haben wir denn jetzt: eine europäische union- guter grundgedanke (erstmal)- den deutschen staat als einzelnes gibt es ja so in seiner reinen form nicht mehr (außer im steuern einnehmen- das geld fließt dann wieder in die eu… echt schön dass ich griechenland unterstütze! ich habe kein problem anderen zu helfen- mache ich sogar gern! aber mein geld sehe ich nie wieder!)
problem 2 dadurch dass unser geld ungefiltert in die eu fliest bleibt für die nation nichts mehr- (viele kaputte straßen, das erziehungsgeld soll gekürzt werden…etc) schulden wir der eu irgendwas..(?).. das wir mehr als die hälfte des rettungschirms tragen müssen…? naja wenn wir es nicht machen würden wären wir ja plötzlich alles wieder nazis!
problem 3 …was hat unsere geehrte frau bundeskanzlerin in ihren 2 legislaturperioden für die nation gemacht? außer das sie der deutschen nationalmanschaft beim spielen zuge”kuckt” hat war da ja nicht viel- sonst ist sie ja nur im ausland unterwegs! (…oder erhöht wieder mal die steuern)
also labert nicht so dumm über ich links die rechts- (es gibt auf beiden seiten idioten)sondern eher über zwischenmenschlichkeit, liebe und wie man am besten eine plutokratie bekämpft!
mfg
ich möchte das nur nochmal unterstreichen was W. George Kendray geschrieben hat. Verschwendet nicht unnötig eure Ressourcen, mit Rechtfertigungen. Sonst bewegt ihr euch dann gans schnell auf der Ebene von den etablierten Parteien,die schon lange nicht mehr wissen was Regieren heißt, weil sie all ihre Energie dazu benutzen die Fehler” der anderen Parteien für sich zu nutzen.
“Wer hoch steigt, kann tief fallen.” Das ist der Trick zum Thema. “Bild bildet” kann man damit reinlegen. Die Macher des Schmirakels sind leider gar nicht dumm. Sie wissen sehr genau wie man hetzt.
Ich schliesse mich der Meinung von Sympathisant an: Verschwendet nicht unnötig eure Ressourcen mit Rechtfertigungen.
Ich war entaeuscht von der Welle der Rechtfertigungen, mit denen viele Piraten sich vor den etablierten Parteien hertreiben liessen. Wenn man die “Kampf gegen Rechts”-Hysterie von einem auf den anderen Tag beenden wuerde, wuerde sich die Anzahl der Neonazis sofort halbieren. Tatsaechlich ist “Kampf gegen Rechts” eines der politischen Disziplinierungsinstrumente der etablierten Parteien, die damit aber eine herostratische Plattform schaffen. Echte Neonazis, d.h. solche, die in “Dritte Reich”-Nostalgie schwelgen und Hitler “fuer einen bedeutenden Staatsmann” (Zitat) halten, gibt es in Deutschland bestimmt weniger als Schizophrene. Sie sind doch eher ein medizinisches Problem. Die oeffentliche Meinung wird dadurch verzerrt, dass von den etablierten Parteien alle in die rechte Ecke geschoben werden, die politisch unterminiert werden sollen. Fatal ist die Wirkung im Ausland. Im Sinne eines selbstbewussten Auftretens wuerde es den Piraten gut anstehen, wenn sie sich mit keinem Wort wehren, aber sinnvollerweise Bezugnahme auf das Dritte Reich vermeiden wuerden.
Den politischen Wiki-Kompass finde ich interessant, aber etwas unausgewogen, links – libertär und genauso “gesund rechts” müsste etwas mehr zur Geltung kommen, eine “freie” Partei wie diese muss ziemlich alle Richtungen ertragen können, extreme selbst schadende Auswüchse müssen nicht ertragen werden, darauf dürfen dann alle reagieren. Wenn man als deutscher, ordentlicher Bürger, zuerst an das Glück seines Heimatlandes denkt, sollte das nicht immer gleich mit Nationalismus gleichgesetzt werden! Wie sollen wir, als Deutsche ein Trauma endlich verarbeiten, wenn es ständig wieder vorgesetzt wird ? Oder ist das etwa Strategie? Und wenn, von wem und warum? Links – libertär und auch etwas gesundes rechts ergibt das schöne Wort >>> libre <<< Das sollte euch allen mal zu denken geben!! 😉
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