Eine Diktatur, industriell unbeleckt, sucht den Anschluss an die Welt. In den Fabriken werden billige und minderwertige Imitate produziert. Doch über Dumpingpreise finden sie ihre Käufer auf dem Weltmarkt. Um Patente oder Geschmacksmuster kümmert sich in den boomenden Branchen ohnehin niemand, die Regierung hält ihre schützende Hand über die einheimischen Unternehmen. Mag das Ausland auch schimpfen und Strafzölle verhängen: die Produktion läuft weiter. Und mit den Jahren steigt der Lebensstandard und auch die Bildung und die Ansprüche im Land. Die Produkte werden langsam nicht nur besser, sondern häufig innovativ und qualitativ hochwertig. Zu diesem Aufstieg trägt nicht zuletzt ein Heer von Spionen bei, das andernorts abgreift was zu holen ist. Nicht zu vergessen die ausländischen Investoren, die auf den fahrenden Zug aufspringen und in der wirtschaftlich aufstrebenden Nation eine billige Werkbank für andere Länder sehen – und oft nur den Transfer von Know-How betreiben. Mit dem Aufschwung steigt das Selbstbewusstsein, die Regierung sonnt sich trotz fehlender Bürgermitsprache in der Akzeptanz der Bevölkerung. War Made in Germany anfangs ein Warnhinweis, wurde es später zum Qualitätsmerkmal. 1918 war die Monarchie am Ende, doch Produkte aus Deutschland waren bald wieder gefragt.
Heute ist China das Land, das Anschluss an die Welt sucht. Produkte aus China stehen schon lange in jedem Regal, und oft sind es keine billigen Kopien oder in Lizenz hergestellten Produkte, sondern Eigenentwicklungen, die dem entsprechen, was der Käufer braucht. Nach Innen reagiert die Regierung unnachgibig auf Kritik, nach Außen läuft eine Charmeoffensive. Die Sehnsucht nach Demokratie steht der nach besseren Rahmenbedingungen weit hinterher – ein voller Bauch demonstriert nicht gern. Anders als im Deutschen Kaiserreich kümmern in China Patente nicht wirklich, und wer seine Firmengeheimnisse in chinesische Hände fallen lässt, ist selbst bald weg vom Markt.
Nun überraschen Meldungen, dass ausgerechnet Proxyserver im Zensurland China den Zugriff auf Internetinhalte ermöglichen sollen, die in Deutschland sonst nicht erreichbar sind: Musikvideos auf YouTube. Besonders eine Erwähnung chinesischer Proxies fand auf twitter einige Aufmerksamkeit.
Tatsächlich findet sich eine Liste von chinesischen Proxies in den einschlägigen Katalogen. Und manche von ihnen funktionieren sogar. Doch nach wenigen Minuten Musikgenuss und der Freude darüber, den Unzulänglichkeiten des Internets in Deutschlands ein Schnippchen geschlagen zu haben, setzt das Denken wieder ein. Denn selbst wenn nicht alle Browserzugriffe in’s Internet über den chineischen Proxy laufen (Mag es jemand mit seinen Kreditkartendaten ausprobieren?) kann ein böser Mensch aus dem Datenstrom so manches rausfischen. Zumindest die Daten, die mit Google zu tun haben, denn YouTube gehört zum Google-Konzern. Und schon stehen diesem bösen Menschen alle E-Mails sowie die Kalenderdaten offen. Und der Betrug funktioniert auch in die andere Richtung: statt Daten abzugreifen, lassen sich mit geeigneter Technik auch Daten und Dateien in den Datenstrom einschleusen. Ein kleines JavaScript, ein falsches Eingabefeld… die Demonstranten im arabischen Raum machten leidvolle Erfahrungen mit solchen Erscheinungen. Dass China in solchen Beziehungen alles zuzutrauen ist, wird nur von China selbst bestritten. Alle anderen achten darauf ihre Daten vor chinesischer Neugierde zu schützen.
Sollten eines Tages sensible Daten auf diesem Weg abwandern kann man natürlich dem unvorsichtigen Benutzer die Schuld geben. Oder über China und ihre Spionagepolitik schimpfen. Die wahren Schuldigen sind jedoch die gierigen Verwerter, die Musikliebhaber mit ihrer Sperrsucht in chinesische Arme treiben! Die einen drehen an der Sperrschraube, andernorts wird gelächelt.
About Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervor ging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites grosses Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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Kommentare
7 Kommentare zu Chinesische Freiheitsproxies
Zitiere :
Um Patente oder Geschmacksmuster kümmert sich in den boomenden Branchen ohnehin niemand, die Regierung hält ihre schützende Hand über die einheimischen Unternehmen. Mag das Ausland auch schimpfen und Strafzölle verhängen: die Produktion läuft weiter. Und mit den Jahren steigt der Lebensstandard und auch die Bildung und die Ansprüche im Land. Die Produkte werden langsam nicht nur besser, sondern häufig innovativ und qualitativ hochwertig.
Was gibt es dagegen einzuwenden ?
In deinem Text schreibts du auch von Diktatur und davon das es einen Zensus gibt. Klingt fast wie in Deutschland.
Ich habe China kennengelernt und bemerkt das hier viel von der Regierung für das Volk getan wird und wurde, seit Mao.
Ausländische Provider die reinen Kapitalismus propagieren werden hier mit Argusaugen beobachtet. Den in diesem großen Land sind viele Mäuler zu stopfen und dazu brauch man eine erfolgreiche Staatsführung. Ich habe noch nie ein Land bereist in dem die Menschen so diszipliniert waren wie hier und es gab für jeden etwas zu essen so wie einen Schlafplatz. Ich glaube aus diesem Grund ist China so groß geworden. Es schmeckt hier einfach gut
Seh ich das Richtig nen Chinesischen Proxy verwenden durch den dann seiten gesperrt sind z..B. freetibet.org
…neben süßem rotwein gibt es nur wenig was mir nicht schmeckt: selbsternannte chinakenner die bunte bildchen von volksdisziplin und flauschigen schlafplätzchen malen gehören dazu!
selbstentfaltung und die würde des seins, produziert ihr kennengelerntes china genau wo?
es ist für mich noch immer schier unglaublich, wie wenig anspruch so mancher an das menschenleben an sich stellt. wahnsinn eigentlich!
“Musikliebhaber” werden sich wegen der unzureichenden Qualität keine Vídeos von YouTube herunterladen….er gibt sich doch nicht mit so minderer Qualität zufrieden.
Hallo Michael, danke für die Warnung, ich denke das musste mal geschrieben werden um bei den Lesern ein Bewusstsein für die Problematik der Verwendung von Proxy Servern in China herzustellen. Was mich allerdings stört ist das Aufspringen auf ein allgemeines China Bashing, wie es seit ein paar Jahren in unserer Presselandschaft üblich ist. Ich denke wir Piraten können uns da mehr Emanzipation vom Mainstream leisten. Im Prinzip willst Du ja auf die möglichen Gefährdungen durch chinesische Proxy Server hinweisen. Warum dann der wirtschaftspolitische Monolog im Vorfeld? Welche Regierung hält nicht die schützende Hand über die eigene Industrie? Deutschland ist da noch ein Musterknabe, beispielsweise im Vergleich zu den USA. Patente und Geschmacksmuster haben die USA in der Nachkriegszeit auch nicht interessiert, da wurden sogar gleich ganze Entwicklerteams über den großen Teich geschafft und mit der US Staatsbürgerschaft zwangsbeglückt. Auch in jüngerer Zeit wurden Airbus Vorstände durch das ECHELON System der USA ausspioniert und diese Informationen wurden dann Boeing zugespielt (Echelon – Spionage unter Freunden, Spiegel, 31.03.2000). Also China hat ein Heer von Spionen – ja und? Wie jede starke Wirtschaftsmacht. Der Schutz von Patenten und Geschmacksmustern wird auch für chinesische Unternehmen immer wichtiger – inzwischen verklagen diese sich gegenseitig. Dieses Problem wird also schon bald aus Eigeninteresse gemanagt werden. Die Investoren welche in China eine billige Werkbank sehen sind von gestern, für Billigproduktion wird China zu teuer. Sind also Investitionen ein Problem? Ich denke die Mitarbeiter vom deutschen Unternehmen Putzmeister haben dazu eine ganz eigene Ansicht, da die unklare Unternehmensnachfolge inzwischen durch Investitionen aus China (Sany) geklärt worden ist und langfristig Arbeitsplätze in Deutschland gesichert wurden. Was will ich damit sagen? China ist eine aufstrebende Wirtschafts- und Weltmacht. Die Geschichte lehrt uns dass der Aufstieg von Weltmächten nie mit hohen moralischen Ansprüchen vereinbar war. Daher rufe ich zur differenzierteren Betrachtung auf und bitte nicht allzu leicht auf das allgemeine China Bashing anzuspringen.
Hi,
das von Dir beschriebene Szenario ist nicht unbedingt zutreffend, es kommt auf Deinen technischen Sachvernstand an. Er muss nur durchschnittlich sein, um dein Szenario zu vermeiden, Google teilt seinen Datenschatz (aka wir Anwender) nämlich nicht so gern.
Was Du unterschlägst oder nicht weißt: Google verschlüsselt alle Zugänge vor dem Login. Und wenn Du angemeldet bist, benutzt Google per default IMMER https, selbst für Suchanfragen. Bleibt das Problem mit der man in the middle attack. Nicht ganz leicht für den Angreifer, aber wir haben ja gesehen, dass nicht alle Root CAs vertrauenswürdig sind.
Lösung: Den Proxy nur während des Videosehens nutzen. Vorher das Googlezertifikat ansehen und möglichst ausdrucken oder elektronisch speichern. Sich aus Google ausdrücklich abmelden, Browserfenster schließen, um alle Sessions zu killen, Proxy anschalten, Google aufrufen bis zur Loginseite und jetzt das Zertifiakt vergleichen: Kommt eine Warnung oder ist das Zertifikat nicht das gleiche wie ohne den Proxy, auf gar keinen Fall irgendwo einloggen, das ist ein Honigtopf, also Proxy wieder löschen. Nur wenn die Zertifikate gleich sind (!) kann man mit seinen Googleaccounts spielen.
Bei homebanking ist es im Prinzip das gleiche. Auch das geht über einen kompromittierten Proxy, wenn man die Zertifikate vergleicht.
Einfach nur eine Warnung zusammenfabulieren vor dem bösen Internet kann jeder. Die technischen Hintergründe komplett zu ignorieren und die vorhandenen Schutzmechanismen zu verschweigen halte ich jedoch für suboptimal.
Gruß Hauke
Hmm, ich lebe ich China und brauche aber selber Proxies aus z.B. DE um Youtube, FB, Twitter und Co überhaupt öffnen zu können. Wenigstens kann ich bei Google legal Musik downloaden. 🙂
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