CC-BY-SA by tante (Anm. der Red.: tante ist Mitglied der Spackeria und kein Mitglied der Piratenpartei)
Seit vor ungefähr einem halben Jahr die datenschutzkritische Spackeria auf die Bühne trat, tut sich die Piratenpartei schwer mit der Abgrenzung. Einerseits sind ein guter Teil der in der Spackeria engagierten Menschen selbst Piraten, andererseits geht die Kritik der Spackeria gegen eines der Kernthemen bzw. einen der (schon über ihre Gründungsmotivation zementierten) Grundsätze der Piraten: Den Datenschutz. Gerade in Deutschland, welches unter dem Eindruck der jüngeren Geschichte nur zu deutlich vor Augen hat, welche Konsequenzen der Missbrauch von personenbezogenen Daten gegen die Bürger eines Staates haben können, wird deshalb das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches sich auch auf Artikel 8 der europäischen Menschenrechtskonvention zurückführen lässt, als fundamentales Abwehr- und Grundrecht des Bürgers gegen den Staat betrachtet. Datenschutz, sowohl rein gesetzlich als auch gesetzlich-technisch, stellt hierbei den Mechanismus zur Durchsetzung des individuellen Rechtes auf informationelle Selbstbestimmung dar. Als demokratische Partei sind die Piraten allerdings auch in der Pflicht, solchen Herausforderungen souverän und fundiert zu begegnen, deshalb sollen im Folgenden einige der grundlegenden Kritikpunkte an der datenschutzkritischen Spackeria zusammengestellt werden.
Falscher Fatalismus
Die Argumentation der Spackeria fußt zu großen Teilen auf der Feststellung und Beschreibung von – relativ unbestrittenen – Problemen, mit denen der Datenschutz heute zu kämpfen hat: Zu Zeiten, als die Grundlagen des deutschen Datenschutzgesetze formuliert wurden, gab es weder das Internet noch die weitreichenden Möglichkeiten, die eigenen Ideen und Daten in sozialen Netzwerken oder anderen Publikationsplattformen zu verbreiten. Somit stößt der traditionelle Datenschutz an seine Grenzen. Die Analysen der Spackeria hier hinwegzuwischen wäre dumm, weil diese auch der Piratenpartei die Grundlage für eine Fortentwicklung des Datenschutzparadigmas bieten können. Die Spackeria allerdings bietet für die Probleme keine den Status Quo verbessernde Lösungen an, sondern flüchtet sich in eine generelle Ablehnung der bestehenden rechtlichen und technischen Datenschutzumsetzungen (“Kontrollverlust”). Die rettungslose Position, die die Spackeria dem Datenschutz als Konzept zuordnet, ist keineswegs ausreichend schlüssig belegt. Nur weil der Spackeria nichts dazu einfällt, heißt es ja nicht, dass die Weiterentwicklung und damit Rettung des Datenschutzes nicht möglich sein kann und die Gesellschaft damit diesen Mechanismus zur Umsetzung menschlicher Grundrechte – der über viele Jahre gute Dienste geleistet hat – aufgeben muss.
Aufgabe des Primats der Politik
Die aus ihrer fatalistischen Position abgeleiteten Thesen der Spackeria sollen unser gesellschaftliches Zusammenleben in einer Zukunft beschreiben, in der wir als Gesellschaft uns der “Normativen Kraft des Faktischen” unterworfen haben: “Das Internet ist wie es ist, da funktioniert Datenschutz nicht mehr. Deal with it.” Als demokratischer Staat richtet sich die BRD allerdings nicht nur an technischen Gegebenheiten aus: Der Schutz, den der Staat seinen Bürgern und deren freier Entfaltung bieten muss, aufzugeben, nur weil er schwer zu realisieren ist, ist keine Option. Unsere demokratisch legitimierten Vertretungen haben gegenüber technischen, wirtschaftlichen oder ähnlichen Interessen immer Vorrang: Über Gesetze und deren erzwungene Einhaltung gestalten wir die Welt, so dass sie für Menschen lebenswert ist. Es ist nicht unsere Aufgabe als Gesellschaft, sich daran zu orientieren, wie die Welt jetzt ist, wir haben uns daran zu orientieren, wie wir sie verbessern können. Und genau diese Möglichkeit bietet uns das Primat der Politik, welches die Spackeria wegwischt.
Naivität
Die generelle Ablehnung des Datenschutzkonzeptes führt innerhalb der Spackeria meist zu einer Regression auf das Konzept der Post-Privacy, also einer Gesellschaft, in der das Konzept der Privatsphäre nicht mehr den Stellenwert einnimmt, den wir ihr heute einräumen. Dabei wird (etwas vereinfacht) postuliert, dass in einer Gesellschaft, in der alle (oder zu mindest sehr viele) Daten offen liegen, die negativen Konsequenzen, wegen derer der Datenschutz überhaupt erst eingeführt wurde, nicht länger zum Tragen kommen. Sicherlich lassen sich Beispiele finden, in denen ein Verzicht auf Privatheit und sogar das teilweise Missachten der Privatsphäre anderer, langfristig einen gesellschaftlichen Fortschritt mit sich brachte: Die Coming-out Bewegungen des letzten Jahrhunderts beispielsweise, holten die Homosexualität raus aus dem Geheimen/Privaten in den Fokus unserer gesellschaftlichen Wahrnehmung. Aber viele andere Probleme, wie den datensammelnden Staat, der die Daten dann gegen ihm widersprechende Individuen einsetzt, werden an dieser Stelle ignoriert. Die Position ist deshalb zutiefst naiv: Es werden mögliche positive Ergebnisse hochgespielt um im gleichen Handgriff negative Konsequenzen auszublenden.
Mangelnde methodische Klarheit
Vielen Piraten, aber auch der allgemeinen Öffentlichkeit, ist oft die Methodik und das Vorgehen der Spackeria unklar: Geht es um die Besetzung einer Extremposition, um die gesellschaftlichen Kräfte zu zwingen das Themenfeld Datenschutz zu überarbeiten und für die Moderne weiterzuentwickeln? Soll ein neuer gesellschaftlicher Entwurf entwickelt und formuliert werden? Welche bestehenden gesellschaftlich akzeptierten Grundsätze werden denn von der Spackeria noch geteilt? Trollt die Spackeria sogar nur? Ohne ein klar strukturiertes und dokumentiertes Vorgehen wird es der Spackeria schwer fallen, überhaupt eine stringente und konsistente Position zu entwickeln. Die zur Zeit vorherrschenden “Einzelmeinungen”, die dann irgendwie doch zusammen passen sollen, erlauben es der Spackeria zwar, sich vielen Fragen zu entziehen, machen eine produktive, inhaltliche Auseinandersetzung allerdings nahezu unmöglich. Bevor sie weitere Thesen in den Raum stellt ist von der Spackeria also eine Dokumentation der eigenen Methode zu fordern.
Plakative Rhetorik
Das Licht der Öffentlichkeit traf die Spackeria vor allem nach einem Interview im Spiegel Online, in dem Datenschutz und Privatsphäre als “so was von Eighties” abqualifiziert wurde. Nun sind Grundrechte, -bedürfnisse und auch Gesetze keineswegs Modeerscheinungen. Die plakative Form der “Kritik” liefert an dieser Stelle zwar durchaus griffige Slogans und Überschriften, ist aber weder inhaltlich fundiert noch angemessen genug, um als ernsthafte Diskussionsgrundlage für dermaßen zentrale Grundlagen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens geeignet zu sein. Durch ihre öffentlich zur Schau gestellte Rhetorik erscheint die Spackeria teils als pure Provokation um der Provokation willen.
Ungeeignete Darstellung der Ergebnisse
Die Spackeria publiziert vor allem über ihren Blog. Ein Blog ist eine großartige Publikationsform, die es auch heute schon vielen Menschen erlaubt, sich und ihre Wünsche und Ideen auszudrücken und Gehör damit zu finden. Es ist aber keine geeignete Technologie um die Probleme und Konzepte, die die Spackeria zu erarbeiten versucht, in der gebotenen Klarheit und Präzision darzustellen.
Fazit
Die Arbeit der Spackeria läßt sich also auf viele Arten grundsätzlich hinterfragen. Für die Piratenpartei wird es interessant sein, zu sehen wie man sich mit dieser “feindlichen” Meinung auseinandersetzt und die Impulse, die man aus dieser Auseinandersetzung ziehen kann, in eigene Ansätze zu überführen. Die dogmatische Ablehnung der Auseinandersetzung würde die Piraten nicht nur der eben genannten Impulse berauben, sondern wirkt nach außen wenig souverän. Als demokratische Partei muss man in der Lage sein auch mit so kontroversen Meinungen produktiv und auch kreativ umzugehen. Am Ende wird man so gestärkt aus der Diskussion hervorgehen.
Kommentare
9 Kommentare zu Kritik an der datenschutzkritischen Spackeria
Manchmal ist mir der Unterschied zwischen der Spackeria und den Überwachungsfantikern wie Friedrich nicht klar, weil bei beiden die Grenzen verwischen.
Wenn es keine Privatsphäre mehr gibt und jeder Mensch nahezu alles über mich weiß (man muss sich mal klar machen, was das in letzter Konsequenz bedeutet: Jeder weiß, welche Krankheit ich habe oder hatte, welche es in meiner Familie gibt, ob ich Arbeitslos war, wo ich zur Schule gegangen bin, mit wem ich in einer Klasse saß, wann ich in der Nase gebohrt habe…), dann weiß auch der Staat alles über mich und damit seine ausführenden Behörden – genau das ist doch Friedrichs Traumreich. Zeugenschutzprogramme oder ähnliches wären in so einer Gesellschaft auch nicht mehr möglich – weil ja jeder überall gläsern ist. Das aber wäre die perverse Steigerung des Negativutopie “1984” Was wird das für Menschen erzeugen, wenn es keine Rückzuggebiete mehr ins Private gibt, weil alles irgendwann ja doch öffentlich wird? Weil jeder noch so kleiner Fehltritt bekannt und breit getreten für jedermann wahrnehmbar wird? Schon jetzt ist der Druck in Richtung Konformität und Mainstream enorm, wer nicht angepasst ist, hat Probleme, wird ausgegrenzt. Doch noch gibt es die Möglichkeit, sich ins Private zurückzuziehen. Die Aufgabe dieser Territorien hätte furchtbare Konsequenzen. Es ist doch gerade die Anonymität des Internets, die immer wieder Leute zum Reden bringt, oftmals zum ersten mal in ihrem Leben, Opfer von Gewalt und Missbrauch, aber auch Schwule oder andere Randgruppen. Ein Aufkündigen der Anonymität würde diese Menschen wieder zum Schweigen bringen – das kann es doch nicht sein. Gedankenspiele, die letztlich den sog. arabischen Frühling hervorgebracht haben – in Zukunft wären sie undenkbar, weil der kleinste Gedanke sofort die dazugehörige Polizei aufs Tapet bringen würde! Ich – für meinen Teil – möchte unter gar keinen Umständen in so einer Gesellschaft leben. Die Anonymität im Netz muss gewahrt bleiben. Der Staat muss gläsern sein – nicht der Bürger (oder die Netizen)!
Warum hält jeder Post-Privacy für eine politische Forderung. Es ist ein theoretisieren einer zukünftigen Utopie. Inwieweit das alles zutreffen wird steht weder fest noch überhaupt zur Debatte. Man kann sowohl den Ist-Zustand verbessen, mit einer Datenschutzreform, als auch den Blick in die Ferne richten und überlegen wie das so aussehen könnte. Beides liegt in unterschiedlichen Zeitebenen. Und wenn die gesellschaftlichen Vorraussetzungen da sind, dass alle bisher erkannten Probleme nicht mehr auftreten, wird sich das eh durchsetzen, ob man will oder nicht. Niemand verlangt das es jetzt sofort so sein sollte.
Das Grundgesetz ist sowas von Forties.
Ich bin zwar erst 1956 geboren, aber mochte einiges am GG, als wir es damals in der Schule durchnahmen, und mag es immer noch. Als um 1977 der Innenminister Maihofer sagte, man könne doch nicht ständig mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen, habe ich mir extra einen Schulterhalfter gebastelt, um das Gegenteil zu demonstrieren.
Genug der Anekdoten. Ich denke, Piraten sollten die Verfassung “schützen”, quasi als parlamentarische Hilfstruppe des BVerfG. Vor allem die Grundrechte. Ohne Niederschrift im GG gehört auch die informationelle Selbstbestimmung dazu. Wer sich öffentlich machen will, ist frei dazu. Ein Zwang darf nicht stattfinden.
Ein bisschen off-topic, aber die Geschichte mit dem Grundgesetz im Schulterhalfter finde ich ja zu lustig. Gibt es davon Bilder?
Bilder habe ich nicht davon. Es war sehr simpel: das GG als dünne Broschüre, wie wir sie in der Schule bekommen hatten, in eine C6-Plastikhülle, ca. 30 cm stoffummanteltes Gummiband an zwei Ecken der Hülle angeknotet, fertig :^)
Wenn man sich die Transparenz auf die Fahne schreibt dann ist es doch eigentlich nur konsequent das auch von den Bürgern zu erwarten (vl. sogar als eine Bürgerpflicht zu betrachten?! zumindest aber wäre eine Kultur des nichts-zu-verbergen-habens eine sehr wünschenswerte..)
Das genau ist die “Thin Red Line”. Bei den Piraten heisst es kurz: “Transparenter Staat statt gläserner Bürger”.
Problem natürlich: Wo zieht man diese Linie, wenn Bürger ins Abgeordnetenhaus gewählt werden (wie letzten Sonntag in Berlin)? Volksvertreter müssen transparent sein. Volksvertreter sind Bürger.
Warum macht ihr um die “Spackeria” so viel Wind? Es gab und gibt und wird immer kontroverse Diskussionen, Ideen und Vorschläge geben; Egal ob sie von Mitgliedern der Piraten oder bekannten Netizens kommen. Allein eine Verballhornung als Namen, ein paar rhetorische Kniffe und ein temporäre Zusammenkunft von verschiedenen Leuten die Schreibrechte auf ein gemeinsames Blog haben, sollte nicht von den Inhalten ablenken.
Viele der Thesen der “Spackeria” sind doch kalter Kaffee; Bereits zu Zeiten von freedomforlinks.de gab es Leute die ähnliche Vorschläge hatten.
Ob da nun “Spackeria”, “AK keine Hausrechte für Website-Betreiber”, “Grüne”, “SPD”, “CCC” oder sogar auch “Piraten” darüber steht: Content ist king. Lasst und doch lieber auf den Inhalt schauen. Wenn der gut ist, dann sollte man ihn nutzen. Welcher Name darüber steht, ist unwichtig.
Vielen Dank für diesen wirklich klar geschrieben Artikel. Für mich stellt sich nur die Frage was euch in der Spackeria überhaupt verbindet. Schadet die “plakative Rhetorik” nicht der gesamten Diskussion? Es gibt auch durchaus Argumente für weniger Datenschutz, zum Beispiel würden genauere Daten der medizinischen Forschung gut tun. Eine interessante Abhandlung zu diesem Thema hat Jane Yakowitz geschrieben. Wenn man allerdings Datenschutz pauschal als “so was von Eighties” abqualifiziert, sollte man sich nicht wundern, wenn die eigenen Aussagen genauso pauschal als “feindlich” verworfen werden.