Das Internet war einst gelobtes Land. Die Verheißung versprach Befreiung von analogen Fesseln: Informationen sind schnell zu verbreiten, beliebig kopier- und speicherbar. Das Netz sei anders als bisher bekannte Informationskanäle: nicht zensierbar. Dank seiner dezentralen Struktur sogar staatlichem Eingriff entzogen! Es klang sehr nach Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließen. Alles im Überfluss, Einschränkungen sollten der Vergangenheit angehören. Durch zwei dünne Kupferdrähte sollte alles auf den heimischen Computer gelangen, ohne dass es jemand anderem abgenommen würde.
Nun erleben wir, dass die Restriktionen der analogen Welt mehr und mehr ins Internet portiert werden: Zensur findet oft weiterhin an der Staatsgrenze statt. In manchen Lädern mehr, in machen weiniger. Über einen Not-Aus-Knopf für das Staatsoberhaupt denkt man selbst in Demokratien nach. Die USA, Österreich und die Schweiz diskutieren heftig. Ägypten machte vor, wie es funktioniert. Deutschland will allerdings keine zentrale Abschaltmöglichkeit. Dafür verpflichtet man hierzulande öffentlich-rechtliche Sender zu einer digitalen Amnesie: Die Staatsfunker müssen ihre Sendungen und andere Informationen schneller von den Webservern löschen als früher VHS-Videokassetten unlesbar wurden oder Bücher beim Trödler landeten. Lobbyisten der Verwertungsgesellschaften wollen die digitale Kopie am liebsten verbieten lassen, das Gesetz schränkt die Möglichkeiten bereits heute über Gebühr ein. Und Zeitschriftenverleger wollen mit dem Leistungsschutzgesetz verhindern, dass Meldungen, Informationen und Wissen beliebig weitergegeben werden dürfen (provokant gesagt: das Recht der ersten Nacht für die Webseiten der Verlage). Gelegentlich soll das Internet gar analoger werden als die analoge Welt es je war. Da wird gelegentlich schon einmal gefordert, dass Pseudonyme Zugunsten einer Realnamenpflicht verboten werden.
Die Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen. Im Informationszeitalter wird die Information künstlich verknappt, damit der Preis hoch sein kann. Der Gesetzgeber wirkt bei dieser seltsamen Wertschöpfung willfährig mit. So wird aus einem Schlaraffenland eine Wüstenei!
About Michael Renner
Meine Karriere als Redakteur bei der Piratenpartei startete 2009 beim Bundesnewsletter, aus dem 2010 die Flaschenpost hervor ging. Im Sommer 2012 wurde ich stellvertretender Chefredakteur, Anfang 2014 Chefredakteur. Da die unzähligen Aufgaben an der Spitze der Flaschenpost einen Vollzeitjob in der Freizeit mit sich bringen machte ich nach zwei guten, aber auch stressigen Jahren zwei Schritte zurück und gab die Redaktionsleitung ab. Die gewonnene Freizeit wird in die Familie und mein zweites grosses Hobby, den Amateurfunk, investiert.
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Kommentare
4 Kommentare zu Wird das Internet analog?
Gerade im Zuge der Geschehnisse in Tunesien, Ägypten, Libyen hatte ich mehrmals gedacht, ob analoge Telefonie über die guten alten Modems nicht eine dezentrale Rückfallebene bei Internet-Abschaltung sein könnte. Niedrige Bandbreite, klar: plaintext Unicode only, kein Flash :^) – aber besser als gar kein Netz allemal, zumal in unruhigen Zeiten und kontrollwütigen Ländern.
Ich erlaube mir mal in dem Kontext auf einen älteren Artikel von uns hinzuweisen: http://flaschenpost.piratenpartei.de/2011/02/14/wenn-daten-ohne-netzwerk-reisen/ Beste Grüße, Gefion
Darüber wurde im Chaosradio schon diskutiert: http://chaosradio.ccc.de/cr165.html
In der Folge ging es auch um die Modem-Einwahl, wie im von Gefion Thürmer verlinkten Artikel steht. Der Herr Urbach von Telecomix ist der Meinung, dass sich schlaue Leute ein Modem zulegen bzw. beim Notebookkauf darauf achten, dass eines eingebaut ist. Das ist nach meinen Beobachtungen vor allem bei Business-Notebooks wie dem HP EliteBook der Fall.
Grueße Ignatz
Was ich noch hinzufügen wollte: Wer einen Rechner ohne Modem, aber mit Linux auf der Platte hat, kann sich mit dem Paket »soundmodem« behelfen, das die Soundkarte als Modem benutzt.
Grueße Ignatz
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